TUM-Student Tom Hicks hat ein Ehrenamt, bei dem er Menschen
verbindet. Er leitet das Projekt „Mentoring@Salesianum“ und vermittelt seine
Kommiliton:innen als Mentor:innen an jugendliche Geflüchtete in München. Hier
erzählt er, warum ihn seine Arbeit so begeistert – und was die mit dem
Deutschlandstipendium zu tun hat.
Was wollt Ihr mit dem Mentoring erreichen? Warum braucht es das überhaupt?
Das Besondere bei uns ist, dass wir zu den Jugendlichen eine
andere Beziehung aufbauen können als zum Beispiel ein:e Jahrzehnte ältere:r
Betreuer:in oder Sozialarbeiter:in. Die Mentees sollen aus sich herauskommen.
Die Mentor:innen sind Studierende von der TUM, meist noch im Bachelor. Unsere
Mentees sind in der Regel zwischen 14 und 18 Jahre alt, sind allein nach
München gekommen und wohnen im Salesianum am Rosenheimer Platz, einem Wohnheim
für jugendliche Geflüchtete. Die Projektidee – und meine Aufgabe als Leiter des
Ganzen – ist, Studierende mit Jugendlichen aus Syrien, dem Irak oder der
Ukraine zu matchen. Davon profitieren beide Seiten immens.
Bewerbung noch bis 03. Juli 2022
Für das Deutschlandstipendium können sich TUM-Studierende
noch bis zum 03. Juli 2022 bewerben: Bewerbung Deutschlandstipendium an der TUM
Wie viel Aufwand ist das Mentoring denn von
Studierendenseite?
Von Aufwand würde ich da weniger sprechen. Ein:e Mentor:in
trifft sich ein- bis zweimal in der Woche mit ihrem/seinem Jugendlichen – und
was sie da machen, liegt ganz bei ihnen. Einer sagte mir neulich: „Ich war mit
dem Samir (Anmerkung: Alle Namen der Beteiligten wurden geändert) im Deutschen
Museum, das hat echt Spaß gemacht.“ Andere treffen sich auf ein Eis in der
Stadt oder lernen Deutsch zusammen. Und einige unserer Mentees machen hier ihre
Schule nach, da können wir mit Mathe- oder Englisch-Nachhilfe gut unterstützen.
Also holen Sie die Jugendlichen aus ihrem Alltag im Wohnheim
und in der Schule raus.
Ja, zumindest zeitweise. Das ist der Kerngedanke unseres
Projekts. Es ist viel mehr, als nur etwas Nachhilfe zu geben. Es geht darum,
eine persönliche Verbindung mit den Jugendlichen aufzubauen. Und zum Teil
entstehen auch wirkliche Freundschaften aus dem Mentoring.
Aber das klingt jetzt fast zu schön, um wahr zu sein…
Was man sich als Mentor:in bewusst machen sollte: Da kommen
verschiedenste Persönlichkeiten zusammen. Einer ist gerade erst nach
Deutschland gekommen und kann nur ein paar Brocken Deutsch. Da geht es uns
schon darum, dass wir erstmal mit der Sprache helfen – um sich mit dem Mentee
auch besser zu verständigen. Zum Teil verstecken sich die Jugendlichen hinter
ihren Freunden im Wohnheim, wenn dort Landsleute sind und ganz gut übersetzen
können. Ein anderer wiederum ist schon drei Jahre im Land, macht gerade eine
Ausbildung und steht kurz vor der Abschlussprüfung. In so einem Fall helfen wir
natürlich bei der Vorbereitung auf die Prüfung. An einer Technischen
Universität sind die Studierenden so fit, dass sie da ohne Probleme helfen
können.
Spüren Sie die Folgen des Angriffskrieges Russlands auf die
Ukraine im Mentoring-Projekt? Betreuen Sie auch ukrainische Jugendliche?
Bis vor kurzem hatten wir Mentor:innen noch ausschließlich
Jugendliche aus dem Nahen Osten. Es meldeten sich aber immer mehr Studierende,
die sich am Projekt beteiligen wollten. Ich traf mich also mit dem Leiter vom
Salesianum und der meinte: „Super, wenn du noch Leute hast. Wir haben eine neue
Gruppe im Wohnheim.“ Das sind alles Geflüchtete aus der Ukraine, die dort ihre
Schule gemacht haben und kurz davor waren, den nächsten Schritt ins Studium zu
wagen.
Inwieweit müssen Ihre Mentor:innen die Jugendlichen anders
betreuen?
Natürlich haben die Leute aus der Ukraine andere
Bedürfnisse, die meisten von ihnen sprechen sehr gut deutsch. Sie wollen in
München bleiben, hier ihren Schulabschluss nachholen und dann einen
Studienplatz bekommen – zum Beispiel an der TUM. Auch hier stelle ich als
Leiter ein Matching auf. Da geht es primär darum, bei der Bewerbung um einen
Studienplatz zu helfen.
Können Sie das konkret erklären?
Gerne. Denis zum Beispiel ist 17 Jahre alt und kommt aus
Kyiv. Er möchte an der TUM Wirtschaftsinformatik studieren, weshalb ich für ihn
einen Mentor organisiert habe, der selbst im vierten Semester
Wirtschaftsinformatik studiert. Er kann ihm optimal helfen, die beiden hatten
sofort ein Gesprächsthema.
Wie blicken diese ukrainischen Jugendlichen in die Zukunft?
Sie sind unfassbar motiviert. Das finde ich echt klasse.
Einmal kam eine Freundin von jemandem aus dem Wohnheim zu einem unserer
Treffen, weil sie von dem Mentoring gehört hatte. Dieses Mädchen war privat bei
einer Familie untergekommen. Aber sie wollte die Chance nutzen und uns
Mentor:innen zum Studium an der TUM befragen. Sie hatte konkrete Vorstellungen
und Fragen, schrieb alles auf einem Notizblock mit. Auch für sie fand ich einen
Mentoren.
Doch nicht allen fällt der Neustart in München so
verhältnismäßig leicht.
Zwei Jungs aus der Gruppe der ukrainischen Geflüchteten
kommen ursprünglich aus Nigeria. Sie sind fürs Studium in die Ukraine gezogen
und flohen dann wie alle anderen auch Richtung Westen. Die haben echt eine
Route hinter sich. Tayo zum Beispiel studierte in Kyiv, wollte auch dort
bleiben. Doch als der Luftalarm immer häufiger ausgelöst wurde und sein Gebäude
zu vibrieren begann, packte der nigerianische Student seinen Rucksack. Er
strandete in München und wurde im Salesianum aufgenommen. Tayo möchte in
München weiter studieren, aber das ist nochmal schwieriger für ihn. Stell dir
vor, du bist eh schon weit weg von zuhause und musst dann noch vor einem Krieg
fliehen, weil dein Gastland überfallen wird.
Sie selbst haben auch geflüchtete Jugendliche betreut, bevor
Sie die Leitung des Projekts übernommen haben.
Vor zwei Jahren hatte ich einen 19-jährigen Mentee aus dem
Irak, den Zaid. In München hat er eine Bauzeichnerlehre gemacht. Und da passte
es perfekt, dass ich Bauingenieurwesen studiere. Als Zaids Abschlussprüfung
bevorstand, haben wir uns immer öfter getroffen. Ich wollte dann natürlich
auch, dass er das gut macht und nicht durchfällt. (lacht) Heute arbeitet er in
einem Büro für Tragwerksplanung in München. Hin und wieder haben wir noch
Kontakt.
Damit Mentor:innen und Mentees zueinanderfinden, investieren
Sie ganz schön viel Zeit und Arbeit. Was machen Sie da genau?
Bei mir laufen alle Fäden zusammen – die ich dann
entsprechend koordinieren muss. Das Matching mache ich nach den Bedürfnissen
und Interessen der Mentees, dann schaue ich, welche passenden Studierenden es
bei uns an der TUM gibt. Ich organisiere Treffen mit den einzelnen Gruppen aus
dem Wohnheim, oder auch mit allen zusammen. Das hört sich vielleicht einfach
an, aber da steckt viel Psychologie dahinter. Ich muss mir überlegen, in
welchem Rahmen ich Menschen miteinander bekanntmache, die sich vorher noch gar
nicht kennen. Spiele ich Kennenlernspiele in der Gruppe? Halte ich einen
Vortrag? Oder lasse ich alles auf mich zukommen und schaue einfach, wer mit wem
ins Gespräch kommt? Da gibt es viel zu bedenken.
Eine große Stütze für Sie ist das Deutschlandstipendium, das
Sie seit mehreren Jahren bekommen. Wäre Ihr Engagement ohne das Stipendium
überhaupt möglich?
Wir Deutschlandstipendiat:innen bekommen 300 Euro pro Monat.
Das entlastet natürlich ganz schön. Ich habe natürlich immer nebenher
gearbeitet, weil die Miete in München natürlich nicht ganz günstig ist. Aber
durch die 300 Euro habe ich zum Teil auch weniger gearbeitet: Wo ich davor zwei
Tage die Woche gearbeitet hatte, war es dann nur noch ein Tag pro Woche. Das
heißt, das Deutschlandstipendium hat mir Zeit geschenkt – die ich dann für mein
Ehrenamt verwenden konnte.
Mehr Informationen:
An dem Mentoring-Projekt nehmen hauptsächlich
Deutschlandstipendiat:innen teil, mittlerweile sind aber auch Freund:innen der
Teilnehmer:innen und andere Kommiliton:innen dazugestoßen.
Die Fluchtgeschichten der Jugendlichen können zum Teil für
die studentischen Mentor:innen belastend sein. Auch deshalb hat Tom Hicks mit
dem Salesianum vereinbart, dass es einen psychologischen Ansprechpartner für
die Studierenden gibt.
Deutschlandstipendium an der TUM
Technische Universität München
Corporate Communications Center
Katharina Horban / Verena Meinecke
presse(at)tum.de
Teamwebsite
Kontakte zum Artikel:
Mentoring@Salesianum
mentoring.salesianum(at)xzv.tum.de
Deutschlandstipendium an der TUM
deutschlandstipendium(at)tum.de
https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/37483
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