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Montag, 27. Juni 2022

Ukraine: Deutschland und der Krieg

 

Was bedeutet der russische Angriffskrieg auf die Ukraine für Deutschland – für die Außenpolitik, für das Selbstbild, für die Erinnerungskultur? Hier gibt es Antworten aus verschiedenen Perspektiven.

 

Interner Link: Ukraine-Analysen Nr. 268 (PDF)

Kommentar: Abschied vom Wolkenkuckucksheim. Deutschlands langsamer Wiedereintritt in die Weltpolitik

Die russische Invasion in der Ukraine stellte auch viele bis dahin lieb gewonnene deutsche Überzeugungen über internationale Beziehungen in Frage, mein Andreas Umland.

Andreas Umland

In einer historischen Rede verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 eine Zeitenwende in der europäischen Nachkriegsgeschichte und deutschen Außenpolitik. Der Beginn der unverhohlenen militärischen Invasion und Bombardierung der Ukraine durch Russland drei Tage zuvor hatte nicht nur die kooperative Phase der Ost-West-Beziehungen nach Ende des Kalten Krieges beendet. Er stellte auch viele bis dahin lieb gewonnene deutsche Überzeugungen über internationale Beziehungen im Allgemeinen und die Berliner Ostpolitik im Besonderen in Frage.

 

Bis vor gut zwei Monaten beruhte ein Großteil des deutschen geopolitischen Denkens auf einer rosigen Sichtweise auf europäische Zeitgeschichte. Die deutsche Öffentlichkeit lebte, was die Quellen und Funktionsweise zwischenstaatlicher Konflikte anging, in einem Wolkenkuckucksheim. Das vorherrschende deutsche außenpolitische Paradigma ging davon aus, dass sich bewaffnete Konfrontationen (die nicht von Adolf Hitler initiiert wurden) durch Missverständnisse und mangelnde Kommunikation erklären. Politischer Dialog, kultureller Austausch, Entwicklungshilfe, wirtschaftliche Kooperation und diplomatische Verhandlungen erzeugen – anstelle von Militärbündnissen, Abschreckung und Verteidigungsanstrengungen – nachhaltige nationale Sicherheit und Frieden. Aus dieser Sicht brauchte Deutschland keine akademische Kriegsforschung, sondern war bestens mit ihrer verzweigten Friedens- und Konfliktforschung bedient.

 

Der auch heute noch weit verbreitete deutsche weltpolitische Eskapismus rechtfertigt sich freilich mit einem selbstkritischen Blick auf die jüngere Geschichte und dem Hinweis auf die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Der Aufstieg pazifistischer Stimmungen in Westdeutschland war jedoch weniger von tatsächlich angemessenen Lehren aus der Vergangenheit geprägt. Stattdessen war er in hohem Maße eine Funktion des kostenarmen Schutzes Westeuropas durch US-Truppen im Allgemeinen und nichtdeutsche NATO-Atomwaffen im Besonderen.

 

Mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks und Beginn der EU- sowie NATO-Erweiterungen in den 1990er Jahren verstärkte sich die weltpolitische Tagträumerei der Deutschen und ihre Perzeption, dass die Herstellung internationaler Sicherheit eine ethisch und strategisch unproblematische Aufgabe sei. Deutschland ist die letzten 30 Jahre ausschließlich von befreundeten Nationen und Bündnissen umgeben und eng mit ihnen verbunden. Die günstige geografische Lage der wiedervereinigten Deutschen und die Verlässlichkeit ihrer Verbündeten schufen den Nährboden für einen besonders introvertierten außenpolitischen Diskurs, der hohen Moralismus, unreflektierten Pazifismus und impraktikablen Idealismus zelebriert.

 

Ein prominentes Beispiel verzerrter deutscher Selbstreflexion war und ist die Begeisterung vieler Westdeutscher für die so genannte Neue Ostpolitik. Dieser Erzählung zufolge erzielte die Herangehensweise der sozialliberalen Koalitionsregierungen gegenüber dem Ostblock in den 1970er Jahren große Erfolge. Die versöhnliche Wendung im Bonner Verhalten gegenüber Moskau und seinen osteuropäischen Satelliten während der Entspannungsperiode habe das Ende des Kalten Krieges 20 Jahre später vorbereitet.

 

Dieses selbstbeweihräuchernde, nicht nur sozialdemokratische Autonarrativ ignoriert jedoch, dass das unmittelbare Produkt der Neuen Ostpolitik nicht die Perestroika war. Vielmehr begannen der Einmarsch der UdSSR in Afghanistan 1979 und die rasante Eskalation der Ost-West-Spannungen in den frühen 1980er Jahren, als die sozialliberale Koalition in Deutschland noch an der Macht war. Die Welt befand sich bereits am Rande des Dritten Weltkriegs, bevor Ronald Reagan 1981 Jimmy Carter im Weißen Haus ablöste.

 

Anstatt sich von den Avancen Westdeutschlands unter Willi Brandt Anfang der 1970er Jahre beeindrucken zu lassen, begann die Sowjetunion in der Blütezeit der Neuen Ostpolitik mit der Planung, Entwicklung und dem Bau ihrer berüchtigten SS-20 Mittelstreckenraketen. Das Auftauchen dieses neuen Typs von Atomwaffen brachte die Ost-West-Beziehungen in der zweiten Hälfte der 1970er aus dem Gleichgewicht und führte zu enormer Nervosität in ganz Europa. Schlimmer noch: Moskaus Aufrüstung wurde durch eine gleichzeitige groß angelegte sowjetisch-deutsche Energiekooperation finanziell begünstigt.

 

Man sollte meinen, dass das widersprüchliche Endergebnis der Bonner Annäherung an den Kreml in den 1970er Jahren der deutschen politischen Elite und breiten Öffentlichkeit eine nachhaltige Lehre erteilt hat. Doch die eher ambivalenten Aus-, Neben- und Nachwirkungen der Neuen Ostpolitik wurden nie kritisch reflektiert. Obwohl die Entspannungsphase vor den konservativen Regierungswechseln in Washington und Bonn Anfang der Achtziger endete, geriet in Vergessenheit, dass sie nur kurz und ihre Errungenschaften nicht nachhaltig waren. Das bis heute anhaltende Versäumnis einer rationalen Bewertung der Neuen Ostpolitik führte einige Jahrzehnte später zu einer merkwürdigen Wiederholung zweischneidiger deutscher Außenwirtschaftsbeziehungen mit Moskau.

 

1970 wurde das bis dahin größte sowjetisch-westdeutsche Finanzgeschäft, der so genannte Röhrenkredit 1 zum Bau eines Gaspipelinesystems zwischen Westsibirien und der Europäischen Gemeinschaft abgeschlossen; neun Jahre später folgte der Einmarsch Moskaus in Afghanistan. Im Jahr 2005 wurde das bis dahin größte europäische Investitionsprojekt, der Bau der ersten Nord-Stream-Gasleitung von Russland nach Deutschland auf dem Grund der Ostsee, begonnen; neun Jahre später folgte die Annexion der Krim durch Moskau und das Anheizen eines Pseudo-Bürgerkriegs in der Ostukraine. Im Jahr 2015 arrangierten Berlin und Moskau den berüchtigten Nord-Stream-2-Vertrag zwischen Gazprom und einer Reihe westeuropäischer Energieunternehmen; sieben Jahre später folgte der Beginn einer groß angelegten russischen Invasion in der Ukraine 2022.

 

Zwar waren die Zeitenwende-Rede von Scholz vom Februar sowie zahlreiche ähnliche Erklärungen anderer deutscher Mainstream-Politiker vor dem Hintergrund früherer eskapistischer Interpretationen ermutigend. Die vielen Ankündigungen einer neuen Berliner Außenpolitik-Doktrin und darauffolgende intensive Mediendiskussion über die deutsche Fehleinschätzung Putins haben sich jedoch bisher in Umfang und Tiefe in Grenzen gehalten. Deutschland unterstützt zwar weitreichende Sanktionen und liefert Waffen an die Ukraine. Die deutsche Kehrtwende hat jedoch keine ausreichende Selbstreflexion über die Ursachen vergangener Fehltritte ausgelöst und noch nicht zu einer vollwertigen Anpassung außenpolitischer Prärogative Berlins geführt.

 

Die historischen und ideellen Ursachen für das fragwürdige Engagement Deutschlands mit Putin & Co. in den letzten zwanzig Jahren sind noch immer nebulös. Der ehemalige Bundeskanzler und heutige Rosneft-Mitarbeiter Gerhard Schröder ist nach wie vor ordentliches Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Das Aufzeigen störender Ambivalenzen in der 50-jährigen Bilanz der Bonner und Berliner Ostpolitik gilt in vielen öffentlichen Debatten in Deutschland immer noch als pietätlos. Die akademische Kriegsforschung ist an deutschen Universitäten und Forschungsinstituten nach wie vor ein unterentwickeltes Feld, ja teils tabu.

 

Die Diskrepanz zwischen den lautstarken pro-ukrainischen Äußerungen Berlins auf der einen Seite und den nur zögerlichen Entscheidungen über militärische Hilfe für Kyjiw sowie Sanktionen gegen Moskau auf der anderen Seite irritiert nach wie vor Deutschlands Verbündete in West und Ost. Für einen vollständigen Neustart der Berliner Außenpolitik braucht Deutschland mehr als ein paar politische Reden und Talkshow-Diskussionen. Eine tiefere Untersuchung und breitere Debatte über das gesamte Spektrum der vergangenen Missgeschicke sollte dazu beitragen, endlich aus dem geopolitischen Wolkenkuckucksheim, in dem viele Deutsche immer noch leben, auszuziehen.

 

Fussnoten

https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/508269/kommentar-abschied-vom-wolkenkuckucksheim-deutschlands-langsamer-wiedereintritt-in-die-weltpolitik/

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Gedanken zu Krieg und Frieden in Gedichten

Gedanken zu Krieg und Frieden in Gedichten

Lesja Ukrainka „Hoffnung“

Kenn weder die Freiheit noch Freude und Glück, Im Herzen blieb mir nur die Hoffnung zurück. Die Heimat noch einmal wiederzusehen, Wo Winde und Stürme die Hüttenumwehen, Zu sehen den Dneper durchbrausen die Ferne – Ach, leben und sterben möcht‘ ich dort so gerne, – Die Steppen zu sehen, der Trauben Geranke Und dort auch zu denken den letzten Gedanken. Kenn weder die Freiheit noch Freunde und Glück, Im Herzen blieb mir nur die Hoffnung zurück. Lutzk, 1880

Der höhere Friede

Wenn sich auf des Krieges Donnerwagen Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf, Menschen, die im Busen Herzen tragen, Herzen, die der Gott der Liebe schuf: Denk' ich, können sie doch mir nichts rauben, Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt, Nicht die Unschuld, nicht an Gott den Glauben, Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt; Nicht des Ahorns dunkelm Schatten wehren, Daß er mich im Weizenfeld erquickt, Und das Lied der Nachtigall nicht stören, Die den stillen Busen mir entzückt. Heinrich von Kleist (1777 - 1811)

Contra Spem Spero. "Gegen die Hoffnung hoffe ich"

O fort mit dir, herbstliches Klagen! Die Tage des Frühlings beginnen! Soll denn in Verzweiflung Verzagen Die sonnige Jugend zerrinnen? Ich will aber Frohsinn, nicht Beben, Mein Lied soll im Unglück ertönen, Auch hoffnungslos hoff ich im Leben, - O fort mit Euch, Ächzen und Stöhnen! Ich pflanze auf steinigem Felde Viel Blumen, die rot sind und weiß, Ich pflanze bei frostiger Kälte Sie alle auf Schnee und auf Eis. Mit heißen Tränen begieße Ich sie bei klirrendem Frost, Das Eis zergeht, vielleicht sprießen Sie doch auf, und das ist mein Trost. Ich schleppe aufs steilste Gebirge Viel klobige Steine und singe, Sonst würden die Schreie mich würgen, Die in die Kehle mir dringen. Ich schließe die Augen auch nimmer Und schaue ins Dunkel ganz wach, Ich suche des Sternes Erschimmern, Des Königs der finsteren Nacht. Drum will ich stets Frohsinn, nicht Beben, Mein Lied soll im Unglück ertönen, Auch hoffnungslos hoff ich im Leben, - O fort mit Euch, Ächzen und Stöhnen! Lesja Ukrajinka (Pseudonym) *25.02.1871 - † 01.08.1913 (Übersetzerin Jona Gruber)

Der Antritt des neuen Jahrhunderts

Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden, Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort? Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden, Und das neue öffnet sich mit Mord. Und das Band der Länder ist gehoben, Und die alten Formen stürzen ein; Nicht das Weltmeer hemmt des Krieges Toben, Nicht der Nilgott und der alte Rhein. Zwo gewaltge Nationen ringen Um der Welt alleinigen Besitz, Aller Länder Freiheit zu verschlingen, Schwingen sie den Dreizack und den Blitz. Gold muß ihnen jede Landschaft wägen, Und wie Brennus in der rohen Zeit Legt der Franke seinen ehrnen Degen In die Waage der Gerechtigkeit. Seine Handelsflotten streckt der Brite Gierig wie Polypenarme aus, Und das Reich der freien Amphitrite Will er schließen wie sein eignes Haus. Zu des Südpols nie erblickten Sternen Dringt sein rastlos ungehemmter Lauf, Alle Inseln spürt er, alle fernen Küsten – nur das Paradies nicht auf. Ach umsonst auf allen Länderkarten Spähst du nach dem seligen Gebiet, Wo der Freiheit ewig grüner Garten, Wo der Menschheit schöne Jugend blüht. Endlos liegt die Welt vor deinen Blicken, Und die Schiffahrt selbst ermißt sie kaum, Doch auf ihrem unermeßnen Rücken Ist für zehen Glückliche nicht Raum. In des Herzens heilig stille Räume Mußt du fliehen aus des Lebens Drang, Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, Und das Schöne blüht nur im Gesang. Friedrich von Schiller (1759 - 1805).

Aus dem Zyklus "Melodien" von Lesja Ukrajinka

Verbrenne mein Herz, Yogo hat Feuer gelegt Es tut mir leid für die heiße Iskra des Stocks. Warum weine ich nicht? Mit klarer sloz Warum werde ich keine schreckliche Mode gießen? Meine Seele weint, meine Seele ist zerrissen, Dass Slyosi nicht in einem reißenden Strom eilen Erreiche meine Augen nicht, wenn du schläfst, Bo trocken їkh fest in einem Feuer entzünden. Ich möchte auf ein sauberes Feld gehen, Leg dein Gesicht auf die graue Erde І so zaridati, so morgens pochuli, Schaob-Leute zhahhivshis auf meinen. *** Mein Herz brennt - ein heißer Funke Sorgen leuchteten auf, versengten mich. Also, warum weine ich nicht, was ist mit Tränen? Ich habe es nicht eilig, sie mit bösem Feuer zu füllen? Meine Seele weint in unausweichlicher Sehnsucht, Aber Tränen fließen nicht in einem lebendigen Strom, Brennende Tränen erreichen die Augen nicht, Der Kummer entwässert sie mit seiner Hitze. Ich möchte hinaus ins freie Feld, Auf den Boden kauern, um sich daran zu kuscheln Und schluchz, damit die Sterne hören Damit die Welt von meiner Traurigkeit entsetzt ist. Übersetzung von V. Zvyagintseva

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