Eine
Mutter mit ihren beiden Kindern läuft eine Straße entlang; sie läuft neben der
Straße, wo das Gras trocken und platt getrampelt ist, die Kinder laufen auf der
Straße und ziehen kleine Rollkoffer hinter sich her.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union behandeln
Kriegsflüchtlinge unterschiedlich. Warum ist das so? Und was ließe sich daran
ändern?
Ein Kommentar von Franziska Vilmar
Als
am 24. Februar der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine
erfolgte, zögerten die Staats- und Regierungschef*innen der EU nicht lange. Nur
eine Woche später beschlossen sie einstimmig und unter Verweis auf die
Richtlinie über den vorübergehenden Schutz aus dem Jahr 2001, die Aufnahme von
Flüchtenden in Europa gemeinsam zu regeln. Auch Länder wie Polen und Ungarn
hielten plötzlich ihre Grenzen offen und bekannten sich solidarisch und in
überraschender Deutlichkeit zum Flüchtlingsschutz.
Zu
diesem Zeitpunkt hatten bereits mehr als eine Million Menschen die Ukraine
verlassen. Die Geflüchteten erhielten Freifahrten mit der Bahn, durften sich
das Land ihrer Wahl aussuchen und konnten wählen, ob sie privat unterkommen
oder ein staatliches Unterkunftsangebot annehmen wollten. In polnischen
Grenzstädten und an Bahnhöfen vieler europäischer Städte halfen Freiwillige den
Ankommenden – überwiegend Frauen und Kinder – bei der Orientierung, dem
Transport und der Unterbringung. Wo es ging, wurden Russischkenntnisse
reaktiviert.
Bereits
Ende März erklärte auch die Bundesregierung, Ukrainer*innen möglichst schnell
und dauerhaft in den Arbeitsmarkt integrieren und dafür die Anerkennung von
Berufsabschlüssen beschleunigen zu wollen. Kurz darauf wurde beschlossen, dass
zum vorläufigen Schutz, der vorerst auf zwei Jahre begrenzt ist, auch der Zugang
zu SGB II-Leistungen gehört. Ukrainer*innen erhalten seit dem 1. Juni wie
deutsche Staatsbürger*innen eine Grundsicherung und nicht die geringeren
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Das diskriminierende
Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen, wäre ein erster richtiger Schritt.
Wenngleich
sich die im Flüchtlingsbereich aktiven Organisationen über Pragmatismus, Tempo
und Aufnahmewillen europäischer Regierungen im Hinblick auf Geflüchtete freuen,
so stellen sich auch Fragen: Warum bekommen nur Ukrainer*innen diese
Vergünstigungen und nicht alle Drittstaatsangehörige aus der Ukraine oder, noch
besser, alle Kriegsflüchtlinge? Handelt es sich dabei um Rassismus? Und warum
hat man die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz nicht 2015/16 angewandt,
als Syrer*innen und Afghan*innen in der EU Schutz suchten, wie Amnesty
International es seinerzeit forderte? Wenn die polnische Regierung sich nun zum
Flüchtlingsschutz bekennt, warum gibt es unverändert gewaltsame Pushbacks gegen
Schutzsuchende an der polnischen Grenze zu Belarus?
Aus
guten Gründen liegt die Hauptzuständigkeit der Flüchtlingsaufnahme (zunächst)
in der unmittelbaren Nachbarregion des Staats, in dem ein Konflikt ausbricht.
Wer sich Hals über Kopf in Sicherheit bringt, hofft oft, bald wieder heimkehren
zu können. So sind auch die EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Ukraine
zuständig für die inzwischen über 6,5 Millionen Geflüchteten.
Im
Konflikt in Syrien hat Amnesty immer wieder Nachbarstaaten wie den Libanon
oder Jordanien aufgefordert, ihre Grenzen offenzuhalten. Wegen familiärer,
freundschaftlicher und kultureller Verbindungen zwischen angrenzenden Ländern
identifiziert sich die Bevölkerung auch stärker mit den Leidtragenden. Diese
Identifikation darf aber keine Leitlinie politischen Handelns sein. Die Rechte
aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention
und auch aus dem europäischen Asylsystem gelten unterschiedslos für jede
Person, die Schutz sucht.
Nichts
spricht dagegen und alles dafür, positive Erfahrungen mit europaweiter
Solidarität, Unterstützung bei der Orientierung von Geflüchteten, Verständnis
für die Situation von Betroffenen völkerrechtswidriger Invasionen und schneller
Integration in den Arbeitsmarkt über den Kontext des Ukraine-Krieges hinaus
anzuwenden. Das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen, wäre
ein erster richtiger Schritt.
Franziska Vilmar ist Fachreferentin für Asylrecht und -politik bei
Amnesty in Deutschland.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen