Heike Paul
04.07.2022 / 13 Minuten zu lesen
In Kriegszeiten werden oft traditionelle Geschlechterrollen
re-aktiviert. Welche Rolle spielen sie in den "Kulturkriegen" in den
USA? Die Amerikanistin Heike Paul analysiert die mediale Inszenierung des
ukrainischen Präsidenten und seine Rezeption.
Nirgendwo sind die Geschlechterrollen so deutlich wie im
Krieg. Dies ist ein Gemeinplatz, der sich aktuell wieder einmal zu bewahrheiten
scheint. Bilder von männlichen Soldaten und flüchtenden Frauen und Kindern
belegen dies. In Kriegs- und Krisenzeiten werden komplexitätsreduzierte
Geschlechterrollen häufig produziert und reproduziert. Um die Realität
handhabbar zu machen, so scheint es, wird vermehrt auf traditionelle
Rollenmuster zurückgegriffen. Diese sind auch nach Jahrzehnten der
Emanzipationsgeschichte noch prompt verfügbar. Gleichzeitig erfordert die
existenzielle Bedrohung eines Krieges auch die Fähigkeit, von solchen
Vorstellungen zu abstrahieren oder sie zumindest, je nach Gefahrenlage und
Erfordernis der Situation, anzupassen und zu aktualisieren. Beide Dynamiken –
die Indienstnahme traditioneller Rollenbilder sowie deren kritische Reflexion
in Zeiten der Not – können im Zuge des Interner Link:russischen Angriffskrieges
auf die Ukraine in den Medien beobachtet werden. Sie sind charakteristisch für
divergierende Haltungen zum Krieg und dienen unterschiedlichen ideologischen
Zwecken.
Geschlechterrollen in Krisenzeiten und ihre mediale
Reproduktion
Nach dem Politikwissenschaftler Benedict Anderson erfolgt
die Kontingenzbewältigung jeder Nation und die Behauptung ihres alternativlosen
Zusammenhalts über die plausible Projektion einer tiefen horizontalen
Kameradschaft, der im Ernstfall – in Zeiten des Krieges – das größte Opfer
gebracht werden müsse: das eigene Leben. Diese Solidarität sei eine
brüderliche. Zur Auflösung der Fußnote[1] Sie beruht in patriarchalen
Gesellschaften auf einer Art Arbeitsteilung, die vorgibt, dass die Männer
kämpfen und die Frauen die Familie umsorgen.
Die Historikerin Claudia Kraft spricht aktuell von einer
"heteronormativen Rollenverteilung", Zur Auflösung der Fußnote[2] die
zumindest vorübergehend bestünde und ukrainische Männer im Alter zwischen 18
und 65 Jahren an klassische Stereotypen des heldenhaften Mannseins binde: hart,
stoisch, kampfbereit als Bürger einer "überfallenen Nation" (Jagoda
Marinić). Zur Auflösung der Fußnote[3] Im Zeichen einschlägiger
Emanzipationsbestrebungen, auch in der Ukraine, fordern viele Stimmen hingegen
die Anerkennung der Leistung der Frauen im Kampf, nicht nur in der Care-Arbeit,
und beschreiben sie gar als "Ukraine's formidable, not-so-secret
weapon" (Lauren Leader). Zur Auflösung der Fußnote[4] Dem Global Gender
Gap Index 2020 zufolge, konnte die Ukraine in den vorangegangenen Jahren die
Kluft zwischen den Geschlechtern verringern und ist damit immerhin im oberen
Drittel aller Länder angelangt. Zur Auflösung der Fußnote[5] Im Bereich der
politischen Teilhabe und der Repräsentation im Parlament ist der Fortschritt
spürbar, mit einem Anstieg an weiblichen Abgeordneten von knapp 3% in den 90er
Jahren auf aktuell über 20%. Zur Auflösung der Fußnote[6] Wenngleich der schon
vor dem russischen Überfall bestehende Konflikt im Osten der Ukraine wie auch
die Covid-19-Pandemie zu Rückschlägen geführt haben. Zur Auflösung der
Fußnote[7] Gerade im Bereich des Militärs ist der Anteil an Soldatinnen
beträchtlich. Mit über 31.000 Soldatinnen liegt der Anteil an Ukrainerinnen im
Militär bei etwa 20% (die offiziellen Zahlen variieren), mehr als
beispielsweise in den USA (14,4%). Zur Auflösung der Fußnote[8] Wegen fehlender
Gleichstellung im Militär hat die ukrainische Soziologin Tamara Marzenjuk sie
als "das unsichtbare Regiment" bezeichnet. Zur Auflösung der
Fußnote[9] Darüber hinaus gibt es zahlreiche Beispiele von Frauen aus den
unterschiedlichsten Bereichen – von der ehemaligen Schönheitskönigin zur
Parlamentsabgeordneten oder rüstigen Seniorin – die ebenfalls zu den Waffen
greifen, wie mehrere viral gehende Posts in den sozialen Medien zeigen. Zur
Auflösung der Fußnote[10] In einem Interview mit der ZEIT spitzte Olena
Selenska, die Ehefrau des Präsidenten, zu: "Die Ukraine wird niemals ein
Land ohne Frauen sein, weil unsere Frauen die mutigsten auf dem Planeten sind.
Viele Mütter sind gegangen, um ihre Kinder zu retten. Aber genauso viele Frauen
kämpfen an vorderster Front als Freiwillige, verteidigen Städte, versorgen
Verwundete und organisieren humanitäre Konvois." Zur Auflösung der
Fußnote[11]
Farbfoto: Eine ukrainische Soldatin umarmt in Charkiv einen
Hund während des Präsidentenbesuchs am 29.5.2022
Eine ukrainische Soldatin umarmt in Charkiv einen Hund
während des Präsidentenbesuchs am 29.5.2022 (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com
| Ukraine Presidency)
Ukrainische Kämpfer werden medial gemäß eines David gegen
Goliath-Szenarios als tapfer und entschlossen porträtiert. Entschlossenheit sei
eine männliche Tugend, so der Autor Tobias Haberl jüngst. Haberl nimmt die
aktuelle Entwicklung des Krieges in seine höchst diskutable Zeitdiagnostik zum
Zustand des Mannes mit auf und glaubt hier die Rückkehr archaischer Männlichkeit
anerkennen zu müssen, deren "gesunde Härte" man jetzt wohl (doch
wieder) brauche. Zur Auflösung der Fußnote[12] Und er meint, dass es eine
"männliche Energie" gäbe, "die nicht verloren gehen sollte […]:
eine Lust am Konflikt" beispielsweise. Zudem zählt er zu den Stimmen, die
das Comeback vermeintlich "männlicher" Eigenschaften prognostizieren,
bei "richtigen Männern" wohlgemerkt. Denn der Biologismus wird hier
nicht überwunden, im Gegenteil, er feiert fröhliche Urständ: Ähnliche Äußerungen
wie die Haberls sind gemeinhin in den Medien zu finden. Unter der Überschrift
"Wie der Krieg in der Ukraine die traditionelle Rollenverteilung
bestätigt" wird der französische Autor Jean-Michel Delacomptée wie folgt
zitiert: Der Krieg zeige, dass "die Frauen keine Männer, und die Männer
keine Frauen sind". Zur Auflösung der Fußnote[13] Damit verbindet sich
auch hier die Rückkehr zu tradierten Rollenvorstellungen. Diese Stimmen
befeuern den Geschlechterkampf als Kulturkampf, der gleichsam flankierend zum
Krieg geführt wird. Fast ist man an die These der Kulturwissenschaftlerin Susan
Jeffords von der "Re-Maskulinisierung" der Gesellschaft erinnert, die
die Autorin im Rahmen des amerikanischen Umgangs mit dem Vietnamkrieg
formulierte. Zur Auflösung der Fußnote[14]
USA: Verbündete in den Kulturkriegen
Dabei sind ideologische Ausrichtungen und
Anpassungsleistungen nicht immer vorhersehbar – oder gar erwartbar. In den USA
verharmlosen zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger der Interner
Link:Republikanischen Partei die Aggression Putins und sehen ihn als Verfechter
traditioneller Werte. Damit positioniert sich die Rechte gegen US-Präsidenten
Interner Link:Joe Biden, der Interner Link:Wladimir Putin bereits vor dem
Ukraine-Krieg als "seelenlosen Killer" Zur Auflösung der Fußnote[15]
bezeichnet hat und jüngst zudem als "mörderischen Diktator" Zur
Auflösung der Fußnote[16] und "Kriegsverbrecher" Zur Auflösung der
Fußnote[17]. Derzeit habe Putin, so Journalist Rob Crilly, bei den
Republikanern eine höhere Zustimmungsrate als Biden, trotz der tiefen
Spannungen zwischen Russland und den USA. Zur Auflösung der Fußnote[18] Der
Autor William Saletan bezeichnet die Republikanische Partei in den USA gar als
"Putins beste Waffe". Zur Auflösung der Fußnote[19] Die
heteronormative Familienpolitik, wie sie vom Kreml propagiert wird (dazu gehört
auch die Politik der Trans- und Homophobie), die Selbstinszenierung Putins als
starke Führungsfigur sowie sein Ethnonationalismus, funktionieren als
Identifikationsangebote für rechte amerikanische Wählerinnen und Wähler, die
sich einen entsprechenden kulturellen Backlash (einhergehend beispielsweise mit
der Abschaffung der gleichgeschlechtlichen Ehe/same sex marriage) in den USA
wünschen. Zur Auflösung der Fußnote[20]
Die Historikerin Bethany Moreton befasst sich mit der
evangelikalen Rechten in den USA und erklärt, dass viele im rechten Lager der
USA Russland gar als Verbündeten in den Kulturkriegen sähen und eine
"Allianz von Kulturkonservativen in den Vereinigten Staaten und
Russland" bilden, die "auch rassistische und ethnische Bigotterie
umarmt": Zur Auflösung der Fußnote[21]
"Weiße Evangelikale sahen in Russland einst eine
existenzielle Bedrohung für die traditionellen Geschlechterrollen und die
Sexualmoral, doch in den letzten drei Jahrzehnten haben sie eine Partnerschaft
in einer globalen Family-Value-Bewegung geschmiedet, die nicht nur sexuellen
und geschlechtlichen Traditionalismus befürwortet, sondern diese Praktiken auch
als Lösung für die demografischen Veränderungen rund um den Globus ansieht"
Zur Auflösung der Fußnote[22], so Moreton in der Washington Post. Der
Kulturkampf als Nebenschauplatz des Krieges bedient sich dabei vielerlei
Sentimentalisierungen und Gegensentimentalisierungen.
Die "family values" implizieren neben der
Arbeitsteilung bekanntlich auch Hierarchien. Die Kulturtheoretikerin Lauren
Berlant hat wiederholt und eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass die
Metapher der Kleinfamilie mit traditioneller Arbeitsteilung für demokratische
Gesellschaften auch in Friedenszeiten nur bedingt geeignet sei und eine
Sentimentalisierung des Politischen häufig als Ablenkungsmanöver fungiere. Zur
Auflösung der Fußnote[23] Männliches Heldentum existiere selten
gleichberechtigt neben weiblichem Heldentum, so hat es die Journalistin Susan Faludi
aufgezeigt: Denn wenn Männer Helden sind oder sein sollen, brauchen sie ein
Publikum, keine Konkurrenz ("Men can only show their strength when women
are weak"). Zur Auflösung der Fußnote[24]
Faludi hat in ihrem Werk The Terror Dream die gesellschaftliche
Krise in den USA nach den Anschlägen vom 11. September untersucht. In diesem
Zusammenhang diagnostiziert Sie einen "Genderquake" (analog zu
"earthquake", dt. "Erdbeben"). Zur Auflösung der
Fußnote[25] Sie adressiert "verschüttete und verdeckte Gender-Konflikte",
die in der Krise aufbrechen und häufig traditionelle Rollenmuster normativ
re-aktivieren: In den USA verbindet sich mit der Darstellung des Terror-Akts
auch die ikonische Neu-Verklärung des amerikanischen Helden (als Feuerwehrmann,
Polizist und Krieger).
Farbfoto: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij
spricht am 16. März 2022 vor dem US-Kongress und bittet um Unterstützung im
Krieg gegen Russland.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij spricht am 16.
März 2022 vor dem US-Kongress und bittet um Unterstützung im Krieg gegen
Russland. (© picture-alliance, AA | Ukrainian Presidency / Handout)
In seiner Rede vor dem amerikanischen Kongress hat der
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij geschickt auf 9/11 und amerikanisches
Heldentum Bezug genommen. Selenskij hat daran eine wirkungsvolle
Analogiebildung geknüpft. Die Erinnerung an den "schreckliche[n] Tag im
Jahr 2001, als das Böse versuchte, eure Städte, unabhängige Gebiete, in
Schlachtfelder zu verwandeln, als unschuldige Menschen angegriffen wurden, aus
der Luft angegriffen wurden", könne den Amerikanerinnen und Amerikanern
verdeutlichen, was sein Land gerade erlebe. Zur Auflösung der Fußnote[26]
Selenskij ruft damit genau das Ereignis auf, das wie kaum ein anderes,
sentimentale "Gefühlsorgien" hervorgebracht hat und ein neues Genre
des "politischen Melodramas" (so Elisabeth Anker). Zur Auflösung der
Fußnote[27] Letzteres ist charakterisiert durch ein sentimentales Aufgehen in
der Opferrolle und der Dämonisierung der Anderen.
Selenskijs Männlichkeitsperformance als Bricolage
Selenskijs präsidiale Männlichkeitsperformance ist eine
Bricolage, also eine ad-hoc Eigenkreation unterschiedlicher Versatzstücke, die
stets eine vermeintliche Improvisation zeigt (gleichsam wie ein Blick hinter
die Kulissen). Dies dient der Erzeugung von Authentizität, es wird scheinbar
nichts versteckt oder verheimlicht. Dadurch entsteht die Vorstellung eines
Helden wider Willen, der sich in den letzten Wochen vom Ex-Schauspieler und
Präsidenten zum Nationalhelden entwickelt hat.
Kaum etwas bekam an dieser Selbstpräsentation Selenskijs so
viel Beachtung wie sein T-Shirt mit dem Symbol der ukrainischen Armee, dass er
während seiner Rede vor dem US-Kongress getragen hatte. Die Kritik des
amerikanischen Ökonomen Peter Schiff zu Selenskijs Auftritts, ob denn der
ukrainische Präsident keinen Anzug besäße, erntete umgehend einen
"Shitstorm" in den sozialen Netzwerken. Vanessa Friedman fasste in
der NYT die einhellige Meinung so zusammen: "Das T-Shirt war kein Zeichen
der Respektlosigkeit gegenüber denjenigen, an die sich Herr Selenskij wandte
[nämlich an die Mitglieder des amerikanischen Kongresses]; es war ein Zeichen
des Respekts und der Loyalität gegenüber denjenigen, die er vertrat." Zur
Auflösung der Fußnote[28]
Meist erscheint der ukrainische Präsident in Videoschalten
(unter anderem mit diversen Parlamenten und anderen politischen Foren) und bei
Pressekonferenzen vor einer kahlen Wand. Ist er doch einmal umgeben von
Insignien der Macht (meist Flaggen, mitunter Teppiche und repräsentative
Wandgemälde u.ä.), distanziert er sich von diesen in seinem Habitus: durch sein
T-Shirt, das mittlerweile Kultstatus hat, und durch Sitzen auf den Stufen,
statt von erhobener Bühne mit der Autorität des Amtes zu sprechen – dies sind
alles Gesten der Bescheidenheit und der Volksnähe. Letzteres signalisiert der
Präsident auch durch den Ausdruck von militärischem Kampfeswillen und
bekräftigt damit eine horizontale Kameradschaft und Solidarität. Anders als es
ihm mitunter geraten wurde, hat er das Land zu keiner Zeit verlassen.
In wechselnden Tonarten spricht der ukrainische Präsident im
T-Shirt als Ankläger und Bittsteller, durchaus mit affektiver Sogwirkung. Er
spricht als moralische Instanz und mit der Autorität des scheinbar unterlegenen
David – direkt von den Frontlinien des Krieges. Selenskij präsentiert sich
damit als Gegenentwurf (gleichsam als "Antithese") zu Putins Goliath.
Philosoph Michael Blake beschreibt Selenskij darüber hinaus als "unrasiert
und erschöpft – als verletzlich, verängstigt, aber dennoch ungebeugt", jemand,
der sich bereits als Kulturschaffender immer wieder auch ganz unheldenhaft und
selbstironisch der Lächerlichkeit preisgegeben habe. Zur Auflösung der
Fußnote[29] Er ist den Ukrainerinnen und Ukrainern in sämtlichen kulturellen
Registern vertraut (z.B. als ukrainische Stimme von Paddington, dem kleinen
Bären, der am Londoner Bahnhof verloren geht).
Die bis ins Detail abgestimmte ubiquitäre Selbstinszenierung
des ukrainischen Präsidenten wird ihm durch neue Kanäle der politischen
Kommunikation ermöglicht; sie führt zugleich auch zu ihrer sofortigen
Kommodifizierung: Das nunmehr ikonische T-Shirt kann man bereits über
einschlägige Online-Händler beziehen. Selenskij zieht nicht nur im
amerikanischen Kongress die passenden moralischen Register, sondern auch in
jedem anderen Parlament, in dem er spricht (in England von Shakespeare und
Churchill, in Deutschland von Mauern und Mauerfall und dem "Nie
Wieder"). Zur Auflösung der Fußnote[30]
Farbfoto: First Lady Jill Biden (r.) umarmt Olena Selenska,
Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, beim Besuch einer Schule in Uschhorod,
Ukraine am 8.5.2022.
First Lady Jill Biden (r.) umarmt Olena Selenska, Ehefrau
des ukrainischen Präsidenten, beim Besuch einer Schule in Uschhorod, Ukraine am
8.5.2022. (© picture-alliance/AP, Susan Walsh)
In mehreren Interviews navigiert Olena Selenska, die Ehefrau
des Präsidenten, wirkungsvoll die Bandbreite weiblicher Rollenentwürfe in
Kriegszeiten. Sie beschreibt die ukrainische Frau einerseits als tapfere
Kämpferin für ihr Land, die als Soldatin im ukrainischen Militär höchste
Anerkennung verdiene, und andererseits als Geflüchtete, die mit ihren Kindern
das Land verlassen musste – letzteres war in den westlichen Medien von Beginn
des Krieges an sehr präsent ersteres weniger. Zur Auflösung der Fußnote[31] Die
Journalistin Sonia Mikich fordert Wachsamkeit und Widerständigkeit gegen
Vereinfachung und vor allem gegen binäre Stereotype ein. Dies ist ein zentrales
Desiderat einer von ihr skizzierten "feministischen Außenpolitik" Zur
Auflösung der Fußnote[32] gerade in Kriegszeiten. Ein anderes ist ein
zeitgemäßes Rollenverständnis im Zeichen wirklicher Gleichberechtigung. Als
förderlich für eine nuanciertere Betrachtung könnte sich die hier thematisierte
Brüchigkeit von tradierten Geschlechterrollen erweisen, wie sie sich in
Selenskijs Bricolage zeigt, die verschiedene Aspekte aus dem Fundus vom
Männlichkeitskonstruktionen vor dem Hintergrund westlicher Konfliktgeschichte
zitiert und re-kombiniert.
Abschließend ist festzuhalten, dass die Darstellungen des
Krieges in der Ukraine traditionelle Geschlechterrollen vorführen,
instrumentalisieren und konterkarieren. Die mediale Selbstinszenierung des
ukrainischen Präsidenten als volksnah und bescheiden steht im markanten
Gegensatz zu Putins Entwurf toxischer Männlichkeit, die außerhalb Russlands
v.a. bei rechten Gruppen populär ist. So auch in den USA. Selenskijs
Selbstpräsentation bedient sich als eine Art Bricolage unterschiedlicher
Referenzen (auf die amerikanische Populärkultur ebenso wie auf die europäische
Geschichte) und hat sein Anliegen damit verständlich und "lesbar" für
ein internationales Publikum gemacht, das ihm viel Sympathie und Unterstützung
entgegenbringt. Komplementär dazu erscheint weibliches Heldentum nur auf den
ersten Blick eng an gängige Stereotype gebunden und wenig individualisiert.
Neben die fliehenden Frauen und Kinder treten zunehmend sichtbar die
Kämpferinnen, die aktiv am Kriegsgeschehen teilnehmen. Darauf verweist die
Ukrainerin Olha in der NZZ, wenn sie davon spricht, dass Ukrainerinnen
"drei Schichten im Krieg" arbeiten: Für die Familie, die Wirtschaft
und die Verteidigung des Landes“. Zur Auflösung der Fußnote[33] Womöglich zeigt
der Krieg eben nicht nur in biologisch-essentialistischer Manier, dass
"Frauen keine Männer" und "Männer keine Frauen" sind,
sondern dass auch in Kriegs- und Krisenzeiten Differenzierungen und Nuancen
existieren – konträr zu propagandistischen Simplifizierungen – die es
wahrzunehmen gilt.
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