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Mittwoch, 6. Juli 2022

BPB; Männlichkeitsbilder im Krieg gegen die Ukraine

Heike Paul

04.07.2022 / 13 Minuten zu lesen

 

In Kriegszeiten werden oft traditionelle Geschlechterrollen re-aktiviert. Welche Rolle spielen sie in den "Kulturkriegen" in den USA? Die Amerikanistin Heike Paul analysiert die mediale Inszenierung des ukrainischen Präsidenten und seine Rezeption.

Nirgendwo sind die Geschlechterrollen so deutlich wie im Krieg. Dies ist ein Gemeinplatz, der sich aktuell wieder einmal zu bewahrheiten scheint. Bilder von männlichen Soldaten und flüchtenden Frauen und Kindern belegen dies. In Kriegs- und Krisenzeiten werden komplexitätsreduzierte Geschlechterrollen häufig produziert und reproduziert. Um die Realität handhabbar zu machen, so scheint es, wird vermehrt auf traditionelle Rollenmuster zurückgegriffen. Diese sind auch nach Jahrzehnten der Emanzipationsgeschichte noch prompt verfügbar. Gleichzeitig erfordert die existenzielle Bedrohung eines Krieges auch die Fähigkeit, von solchen Vorstellungen zu abstrahieren oder sie zumindest, je nach Gefahrenlage und Erfordernis der Situation, anzupassen und zu aktualisieren. Beide Dynamiken – die Indienstnahme traditioneller Rollenbilder sowie deren kritische Reflexion in Zeiten der Not – können im Zuge des Interner Link:russischen Angriffskrieges auf die Ukraine in den Medien beobachtet werden. Sie sind charakteristisch für divergierende Haltungen zum Krieg und dienen unterschiedlichen ideologischen Zwecken.

 

Geschlechterrollen in Krisenzeiten und ihre mediale Reproduktion

Nach dem Politikwissenschaftler Benedict Anderson erfolgt die Kontingenzbewältigung jeder Nation und die Behauptung ihres alternativlosen Zusammenhalts über die plausible Projektion einer tiefen horizontalen Kameradschaft, der im Ernstfall – in Zeiten des Krieges – das größte Opfer gebracht werden müsse: das eigene Leben. Diese Solidarität sei eine brüderliche. Zur Auflösung der Fußnote[1] Sie beruht in patriarchalen Gesellschaften auf einer Art Arbeitsteilung, die vorgibt, dass die Männer kämpfen und die Frauen die Familie umsorgen.

 

Die Historikerin Claudia Kraft spricht aktuell von einer "heteronormativen Rollenverteilung", Zur Auflösung der Fußnote[2] die zumindest vorübergehend bestünde und ukrainische Männer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren an klassische Stereotypen des heldenhaften Mannseins binde: hart, stoisch, kampfbereit als Bürger einer "überfallenen Nation" (Jagoda Marinić). Zur Auflösung der Fußnote[3] Im Zeichen einschlägiger Emanzipationsbestrebungen, auch in der Ukraine, fordern viele Stimmen hingegen die Anerkennung der Leistung der Frauen im Kampf, nicht nur in der Care-Arbeit, und beschreiben sie gar als "Ukraine's formidable, not-so-secret weapon" (Lauren Leader). Zur Auflösung der Fußnote[4] Dem Global Gender Gap Index 2020 zufolge, konnte die Ukraine in den vorangegangenen Jahren die Kluft zwischen den Geschlechtern verringern und ist damit immerhin im oberen Drittel aller Länder angelangt. Zur Auflösung der Fußnote[5] Im Bereich der politischen Teilhabe und der Repräsentation im Parlament ist der Fortschritt spürbar, mit einem Anstieg an weiblichen Abgeordneten von knapp 3% in den 90er Jahren auf aktuell über 20%. Zur Auflösung der Fußnote[6] Wenngleich der schon vor dem russischen Überfall bestehende Konflikt im Osten der Ukraine wie auch die Covid-19-Pandemie zu Rückschlägen geführt haben. Zur Auflösung der Fußnote[7] Gerade im Bereich des Militärs ist der Anteil an Soldatinnen beträchtlich. Mit über 31.000 Soldatinnen liegt der Anteil an Ukrainerinnen im Militär bei etwa 20% (die offiziellen Zahlen variieren), mehr als beispielsweise in den USA (14,4%). Zur Auflösung der Fußnote[8] Wegen fehlender Gleichstellung im Militär hat die ukrainische Soziologin Tamara Marzenjuk sie als "das unsichtbare Regiment" bezeichnet. Zur Auflösung der Fußnote[9] Darüber hinaus gibt es zahlreiche Beispiele von Frauen aus den unterschiedlichsten Bereichen – von der ehemaligen Schönheitskönigin zur Parlamentsabgeordneten oder rüstigen Seniorin – die ebenfalls zu den Waffen greifen, wie mehrere viral gehende Posts in den sozialen Medien zeigen. Zur Auflösung der Fußnote[10] In einem Interview mit der ZEIT spitzte Olena Selenska, die Ehefrau des Präsidenten, zu: "Die Ukraine wird niemals ein Land ohne Frauen sein, weil unsere Frauen die mutigsten auf dem Planeten sind. Viele Mütter sind gegangen, um ihre Kinder zu retten. Aber genauso viele Frauen kämpfen an vorderster Front als Freiwillige, verteidigen Städte, versorgen Verwundete und organisieren humanitäre Konvois." Zur Auflösung der Fußnote[11]

 

Farbfoto: Eine ukrainische Soldatin umarmt in Charkiv einen Hund während des Präsidentenbesuchs am 29.5.2022

Eine ukrainische Soldatin umarmt in Charkiv einen Hund während des Präsidentenbesuchs am 29.5.2022 (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Ukraine Presidency)

 

Ukrainische Kämpfer werden medial gemäß eines David gegen Goliath-Szenarios als tapfer und entschlossen porträtiert. Entschlossenheit sei eine männliche Tugend, so der Autor Tobias Haberl jüngst. Haberl nimmt die aktuelle Entwicklung des Krieges in seine höchst diskutable Zeitdiagnostik zum Zustand des Mannes mit auf und glaubt hier die Rückkehr archaischer Männlichkeit anerkennen zu müssen, deren "gesunde Härte" man jetzt wohl (doch wieder) brauche. Zur Auflösung der Fußnote[12] Und er meint, dass es eine "männliche Energie" gäbe, "die nicht verloren gehen sollte […]: eine Lust am Konflikt" beispielsweise. Zudem zählt er zu den Stimmen, die das Comeback vermeintlich "männlicher" Eigenschaften prognostizieren, bei "richtigen Männern" wohlgemerkt. Denn der Biologismus wird hier nicht überwunden, im Gegenteil, er feiert fröhliche Urständ: Ähnliche Äußerungen wie die Haberls sind gemeinhin in den Medien zu finden. Unter der Überschrift "Wie der Krieg in der Ukraine die traditionelle Rollenverteilung bestätigt" wird der französische Autor Jean-Michel Delacomptée wie folgt zitiert: Der Krieg zeige, dass "die Frauen keine Männer, und die Männer keine Frauen sind". Zur Auflösung der Fußnote[13] Damit verbindet sich auch hier die Rückkehr zu tradierten Rollenvorstellungen. Diese Stimmen befeuern den Geschlechterkampf als Kulturkampf, der gleichsam flankierend zum Krieg geführt wird. Fast ist man an die These der Kulturwissenschaftlerin Susan Jeffords von der "Re-Maskulinisierung" der Gesellschaft erinnert, die die Autorin im Rahmen des amerikanischen Umgangs mit dem Vietnamkrieg formulierte. Zur Auflösung der Fußnote[14]

 

USA: Verbündete in den Kulturkriegen

Dabei sind ideologische Ausrichtungen und Anpassungsleistungen nicht immer vorhersehbar – oder gar erwartbar. In den USA verharmlosen zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger der Interner Link:Republikanischen Partei die Aggression Putins und sehen ihn als Verfechter traditioneller Werte. Damit positioniert sich die Rechte gegen US-Präsidenten Interner Link:Joe Biden, der Interner Link:Wladimir Putin bereits vor dem Ukraine-Krieg als "seelenlosen Killer" Zur Auflösung der Fußnote[15] bezeichnet hat und jüngst zudem als "mörderischen Diktator" Zur Auflösung der Fußnote[16] und "Kriegsverbrecher" Zur Auflösung der Fußnote[17]. Derzeit habe Putin, so Journalist Rob Crilly, bei den Republikanern eine höhere Zustimmungsrate als Biden, trotz der tiefen Spannungen zwischen Russland und den USA. Zur Auflösung der Fußnote[18] Der Autor William Saletan bezeichnet die Republikanische Partei in den USA gar als "Putins beste Waffe". Zur Auflösung der Fußnote[19] Die heteronormative Familienpolitik, wie sie vom Kreml propagiert wird (dazu gehört auch die Politik der Trans- und Homophobie), die Selbstinszenierung Putins als starke Führungsfigur sowie sein Ethnonationalismus, funktionieren als Identifikationsangebote für rechte amerikanische Wählerinnen und Wähler, die sich einen entsprechenden kulturellen Backlash (einhergehend beispielsweise mit der Abschaffung der gleichgeschlechtlichen Ehe/same sex marriage) in den USA wünschen. Zur Auflösung der Fußnote[20]

 

Die Historikerin Bethany Moreton befasst sich mit der evangelikalen Rechten in den USA und erklärt, dass viele im rechten Lager der USA Russland gar als Verbündeten in den Kulturkriegen sähen und eine "Allianz von Kulturkonservativen in den Vereinigten Staaten und Russland" bilden, die "auch rassistische und ethnische Bigotterie umarmt": Zur Auflösung der Fußnote[21]

 

"Weiße Evangelikale sahen in Russland einst eine existenzielle Bedrohung für die traditionellen Geschlechterrollen und die Sexualmoral, doch in den letzten drei Jahrzehnten haben sie eine Partnerschaft in einer globalen Family-Value-Bewegung geschmiedet, die nicht nur sexuellen und geschlechtlichen Traditionalismus befürwortet, sondern diese Praktiken auch als Lösung für die demografischen Veränderungen rund um den Globus ansieht" Zur Auflösung der Fußnote[22], so Moreton in der Washington Post. Der Kulturkampf als Nebenschauplatz des Krieges bedient sich dabei vielerlei Sentimentalisierungen und Gegensentimentalisierungen.

 

Die "family values" implizieren neben der Arbeitsteilung bekanntlich auch Hierarchien. Die Kulturtheoretikerin Lauren Berlant hat wiederholt und eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Metapher der Kleinfamilie mit traditioneller Arbeitsteilung für demokratische Gesellschaften auch in Friedenszeiten nur bedingt geeignet sei und eine Sentimentalisierung des Politischen häufig als Ablenkungsmanöver fungiere. Zur Auflösung der Fußnote[23] Männliches Heldentum existiere selten gleichberechtigt neben weiblichem Heldentum, so hat es die Journalistin Susan Faludi aufgezeigt: Denn wenn Männer Helden sind oder sein sollen, brauchen sie ein Publikum, keine Konkurrenz ("Men can only show their strength when women are weak"). Zur Auflösung der Fußnote[24]

 

Faludi hat in ihrem Werk The Terror Dream die gesellschaftliche Krise in den USA nach den Anschlägen vom 11. September untersucht. In diesem Zusammenhang diagnostiziert Sie einen "Genderquake" (analog zu "earthquake", dt. "Erdbeben"). Zur Auflösung der Fußnote[25] Sie adressiert "verschüttete und verdeckte Gender-Konflikte", die in der Krise aufbrechen und häufig traditionelle Rollenmuster normativ re-aktivieren: In den USA verbindet sich mit der Darstellung des Terror-Akts auch die ikonische Neu-Verklärung des amerikanischen Helden (als Feuerwehrmann, Polizist und Krieger).

 

Farbfoto: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij spricht am 16. März 2022 vor dem US-Kongress und bittet um Unterstützung im Krieg gegen Russland.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij spricht am 16. März 2022 vor dem US-Kongress und bittet um Unterstützung im Krieg gegen Russland. (© picture-alliance, AA | Ukrainian Presidency / Handout)

 

In seiner Rede vor dem amerikanischen Kongress hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij geschickt auf 9/11 und amerikanisches Heldentum Bezug genommen. Selenskij hat daran eine wirkungsvolle Analogiebildung geknüpft. Die Erinnerung an den "schreckliche[n] Tag im Jahr 2001, als das Böse versuchte, eure Städte, unabhängige Gebiete, in Schlachtfelder zu verwandeln, als unschuldige Menschen angegriffen wurden, aus der Luft angegriffen wurden", könne den Amerikanerinnen und Amerikanern verdeutlichen, was sein Land gerade erlebe. Zur Auflösung der Fußnote[26] Selenskij ruft damit genau das Ereignis auf, das wie kaum ein anderes, sentimentale "Gefühlsorgien" hervorgebracht hat und ein neues Genre des "politischen Melodramas" (so Elisabeth Anker). Zur Auflösung der Fußnote[27] Letzteres ist charakterisiert durch ein sentimentales Aufgehen in der Opferrolle und der Dämonisierung der Anderen.

 

Selenskijs Männlichkeitsperformance als Bricolage

Selenskijs präsidiale Männlichkeitsperformance ist eine Bricolage, also eine ad-hoc Eigenkreation unterschiedlicher Versatzstücke, die stets eine vermeintliche Improvisation zeigt (gleichsam wie ein Blick hinter die Kulissen). Dies dient der Erzeugung von Authentizität, es wird scheinbar nichts versteckt oder verheimlicht. Dadurch entsteht die Vorstellung eines Helden wider Willen, der sich in den letzten Wochen vom Ex-Schauspieler und Präsidenten zum Nationalhelden entwickelt hat.

 

Kaum etwas bekam an dieser Selbstpräsentation Selenskijs so viel Beachtung wie sein T-Shirt mit dem Symbol der ukrainischen Armee, dass er während seiner Rede vor dem US-Kongress getragen hatte. Die Kritik des amerikanischen Ökonomen Peter Schiff zu Selenskijs Auftritts, ob denn der ukrainische Präsident keinen Anzug besäße, erntete umgehend einen "Shitstorm" in den sozialen Netzwerken. Vanessa Friedman fasste in der NYT die einhellige Meinung so zusammen: "Das T-Shirt war kein Zeichen der Respektlosigkeit gegenüber denjenigen, an die sich Herr Selenskij wandte [nämlich an die Mitglieder des amerikanischen Kongresses]; es war ein Zeichen des Respekts und der Loyalität gegenüber denjenigen, die er vertrat." Zur Auflösung der Fußnote[28]

 

Meist erscheint der ukrainische Präsident in Videoschalten (unter anderem mit diversen Parlamenten und anderen politischen Foren) und bei Pressekonferenzen vor einer kahlen Wand. Ist er doch einmal umgeben von Insignien der Macht (meist Flaggen, mitunter Teppiche und repräsentative Wandgemälde u.ä.), distanziert er sich von diesen in seinem Habitus: durch sein T-Shirt, das mittlerweile Kultstatus hat, und durch Sitzen auf den Stufen, statt von erhobener Bühne mit der Autorität des Amtes zu sprechen – dies sind alles Gesten der Bescheidenheit und der Volksnähe. Letzteres signalisiert der Präsident auch durch den Ausdruck von militärischem Kampfeswillen und bekräftigt damit eine horizontale Kameradschaft und Solidarität. Anders als es ihm mitunter geraten wurde, hat er das Land zu keiner Zeit verlassen.

 

In wechselnden Tonarten spricht der ukrainische Präsident im T-Shirt als Ankläger und Bittsteller, durchaus mit affektiver Sogwirkung. Er spricht als moralische Instanz und mit der Autorität des scheinbar unterlegenen David – direkt von den Frontlinien des Krieges. Selenskij präsentiert sich damit als Gegenentwurf (gleichsam als "Antithese") zu Putins Goliath. Philosoph Michael Blake beschreibt Selenskij darüber hinaus als "unrasiert und erschöpft – als verletzlich, verängstigt, aber dennoch ungebeugt", jemand, der sich bereits als Kulturschaffender immer wieder auch ganz unheldenhaft und selbstironisch der Lächerlichkeit preisgegeben habe. Zur Auflösung der Fußnote[29] Er ist den Ukrainerinnen und Ukrainern in sämtlichen kulturellen Registern vertraut (z.B. als ukrainische Stimme von Paddington, dem kleinen Bären, der am Londoner Bahnhof verloren geht).

 

Die bis ins Detail abgestimmte ubiquitäre Selbstinszenierung des ukrainischen Präsidenten wird ihm durch neue Kanäle der politischen Kommunikation ermöglicht; sie führt zugleich auch zu ihrer sofortigen Kommodifizierung: Das nunmehr ikonische T-Shirt kann man bereits über einschlägige Online-Händler beziehen. Selenskij zieht nicht nur im amerikanischen Kongress die passenden moralischen Register, sondern auch in jedem anderen Parlament, in dem er spricht (in England von Shakespeare und Churchill, in Deutschland von Mauern und Mauerfall und dem "Nie Wieder"). Zur Auflösung der Fußnote[30]

 

Farbfoto: First Lady Jill Biden (r.) umarmt Olena Selenska, Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, beim Besuch einer Schule in Uschhorod, Ukraine am 8.5.2022.

First Lady Jill Biden (r.) umarmt Olena Selenska, Ehefrau des ukrainischen Präsidenten, beim Besuch einer Schule in Uschhorod, Ukraine am 8.5.2022. (© picture-alliance/AP, Susan Walsh)

 

In mehreren Interviews navigiert Olena Selenska, die Ehefrau des Präsidenten, wirkungsvoll die Bandbreite weiblicher Rollenentwürfe in Kriegszeiten. Sie beschreibt die ukrainische Frau einerseits als tapfere Kämpferin für ihr Land, die als Soldatin im ukrainischen Militär höchste Anerkennung verdiene, und andererseits als Geflüchtete, die mit ihren Kindern das Land verlassen musste – letzteres war in den westlichen Medien von Beginn des Krieges an sehr präsent ersteres weniger. Zur Auflösung der Fußnote[31] Die Journalistin Sonia Mikich fordert Wachsamkeit und Widerständigkeit gegen Vereinfachung und vor allem gegen binäre Stereotype ein. Dies ist ein zentrales Desiderat einer von ihr skizzierten "feministischen Außenpolitik" Zur Auflösung der Fußnote[32] gerade in Kriegszeiten. Ein anderes ist ein zeitgemäßes Rollenverständnis im Zeichen wirklicher Gleichberechtigung. Als förderlich für eine nuanciertere Betrachtung könnte sich die hier thematisierte Brüchigkeit von tradierten Geschlechterrollen erweisen, wie sie sich in Selenskijs Bricolage zeigt, die verschiedene Aspekte aus dem Fundus vom Männlichkeitskonstruktionen vor dem Hintergrund westlicher Konfliktgeschichte zitiert und re-kombiniert.

 

Abschließend ist festzuhalten, dass die Darstellungen des Krieges in der Ukraine traditionelle Geschlechterrollen vorführen, instrumentalisieren und konterkarieren. Die mediale Selbstinszenierung des ukrainischen Präsidenten als volksnah und bescheiden steht im markanten Gegensatz zu Putins Entwurf toxischer Männlichkeit, die außerhalb Russlands v.a. bei rechten Gruppen populär ist. So auch in den USA. Selenskijs Selbstpräsentation bedient sich als eine Art Bricolage unterschiedlicher Referenzen (auf die amerikanische Populärkultur ebenso wie auf die europäische Geschichte) und hat sein Anliegen damit verständlich und "lesbar" für ein internationales Publikum gemacht, das ihm viel Sympathie und Unterstützung entgegenbringt. Komplementär dazu erscheint weibliches Heldentum nur auf den ersten Blick eng an gängige Stereotype gebunden und wenig individualisiert. Neben die fliehenden Frauen und Kinder treten zunehmend sichtbar die Kämpferinnen, die aktiv am Kriegsgeschehen teilnehmen. Darauf verweist die Ukrainerin Olha in der NZZ, wenn sie davon spricht, dass Ukrainerinnen "drei Schichten im Krieg" arbeiten: Für die Familie, die Wirtschaft und die Verteidigung des Landes“. Zur Auflösung der Fußnote[33] Womöglich zeigt der Krieg eben nicht nur in biologisch-essentialistischer Manier, dass "Frauen keine Männer" und "Männer keine Frauen" sind, sondern dass auch in Kriegs- und Krisenzeiten Differenzierungen und Nuancen existieren – konträr zu propagandistischen Simplifizierungen – die es wahrzunehmen gilt.


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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Heike Paul für bpb.de

 

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Gedanken zu Krieg und Frieden in Gedichten

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Lesja Ukrainka „Hoffnung“

Kenn weder die Freiheit noch Freude und Glück, Im Herzen blieb mir nur die Hoffnung zurück. Die Heimat noch einmal wiederzusehen, Wo Winde und Stürme die Hüttenumwehen, Zu sehen den Dneper durchbrausen die Ferne – Ach, leben und sterben möcht‘ ich dort so gerne, – Die Steppen zu sehen, der Trauben Geranke Und dort auch zu denken den letzten Gedanken. Kenn weder die Freiheit noch Freunde und Glück, Im Herzen blieb mir nur die Hoffnung zurück. Lutzk, 1880

Der höhere Friede

Wenn sich auf des Krieges Donnerwagen Menschen waffnen, auf der Zwietracht Ruf, Menschen, die im Busen Herzen tragen, Herzen, die der Gott der Liebe schuf: Denk' ich, können sie doch mir nichts rauben, Nicht den Frieden, der sich selbst bewährt, Nicht die Unschuld, nicht an Gott den Glauben, Der dem Hasse wie dem Schrecken wehrt; Nicht des Ahorns dunkelm Schatten wehren, Daß er mich im Weizenfeld erquickt, Und das Lied der Nachtigall nicht stören, Die den stillen Busen mir entzückt. Heinrich von Kleist (1777 - 1811)

Contra Spem Spero. "Gegen die Hoffnung hoffe ich"

O fort mit dir, herbstliches Klagen! Die Tage des Frühlings beginnen! Soll denn in Verzweiflung Verzagen Die sonnige Jugend zerrinnen? Ich will aber Frohsinn, nicht Beben, Mein Lied soll im Unglück ertönen, Auch hoffnungslos hoff ich im Leben, - O fort mit Euch, Ächzen und Stöhnen! Ich pflanze auf steinigem Felde Viel Blumen, die rot sind und weiß, Ich pflanze bei frostiger Kälte Sie alle auf Schnee und auf Eis. Mit heißen Tränen begieße Ich sie bei klirrendem Frost, Das Eis zergeht, vielleicht sprießen Sie doch auf, und das ist mein Trost. Ich schleppe aufs steilste Gebirge Viel klobige Steine und singe, Sonst würden die Schreie mich würgen, Die in die Kehle mir dringen. Ich schließe die Augen auch nimmer Und schaue ins Dunkel ganz wach, Ich suche des Sternes Erschimmern, Des Königs der finsteren Nacht. Drum will ich stets Frohsinn, nicht Beben, Mein Lied soll im Unglück ertönen, Auch hoffnungslos hoff ich im Leben, - O fort mit Euch, Ächzen und Stöhnen! Lesja Ukrajinka (Pseudonym) *25.02.1871 - † 01.08.1913 (Übersetzerin Jona Gruber)

Der Antritt des neuen Jahrhunderts

Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden, Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort? Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden, Und das neue öffnet sich mit Mord. Und das Band der Länder ist gehoben, Und die alten Formen stürzen ein; Nicht das Weltmeer hemmt des Krieges Toben, Nicht der Nilgott und der alte Rhein. Zwo gewaltge Nationen ringen Um der Welt alleinigen Besitz, Aller Länder Freiheit zu verschlingen, Schwingen sie den Dreizack und den Blitz. Gold muß ihnen jede Landschaft wägen, Und wie Brennus in der rohen Zeit Legt der Franke seinen ehrnen Degen In die Waage der Gerechtigkeit. Seine Handelsflotten streckt der Brite Gierig wie Polypenarme aus, Und das Reich der freien Amphitrite Will er schließen wie sein eignes Haus. Zu des Südpols nie erblickten Sternen Dringt sein rastlos ungehemmter Lauf, Alle Inseln spürt er, alle fernen Küsten – nur das Paradies nicht auf. Ach umsonst auf allen Länderkarten Spähst du nach dem seligen Gebiet, Wo der Freiheit ewig grüner Garten, Wo der Menschheit schöne Jugend blüht. Endlos liegt die Welt vor deinen Blicken, Und die Schiffahrt selbst ermißt sie kaum, Doch auf ihrem unermeßnen Rücken Ist für zehen Glückliche nicht Raum. In des Herzens heilig stille Räume Mußt du fliehen aus des Lebens Drang, Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, Und das Schöne blüht nur im Gesang. Friedrich von Schiller (1759 - 1805).

Aus dem Zyklus "Melodien" von Lesja Ukrajinka

Verbrenne mein Herz, Yogo hat Feuer gelegt Es tut mir leid für die heiße Iskra des Stocks. Warum weine ich nicht? Mit klarer sloz Warum werde ich keine schreckliche Mode gießen? Meine Seele weint, meine Seele ist zerrissen, Dass Slyosi nicht in einem reißenden Strom eilen Erreiche meine Augen nicht, wenn du schläfst, Bo trocken їkh fest in einem Feuer entzünden. Ich möchte auf ein sauberes Feld gehen, Leg dein Gesicht auf die graue Erde І so zaridati, so morgens pochuli, Schaob-Leute zhahhivshis auf meinen. *** Mein Herz brennt - ein heißer Funke Sorgen leuchteten auf, versengten mich. Also, warum weine ich nicht, was ist mit Tränen? Ich habe es nicht eilig, sie mit bösem Feuer zu füllen? Meine Seele weint in unausweichlicher Sehnsucht, Aber Tränen fließen nicht in einem lebendigen Strom, Brennende Tränen erreichen die Augen nicht, Der Kummer entwässert sie mit seiner Hitze. Ich möchte hinaus ins freie Feld, Auf den Boden kauern, um sich daran zu kuscheln Und schluchz, damit die Sterne hören Damit die Welt von meiner Traurigkeit entsetzt ist. Übersetzung von V. Zvyagintseva

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