Unter den Hunderttausenden Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, gibt es zahllose pädagogische Fachkräfte, die jetzt für das deutsche Bildungssystem wichtig sind.
08.06.2022 – Sven Heitkamp, freier Journalist
Viktoriia Harbuz hat es erst mal geschafft. Am 14. März kam
die Gymnasiallehrerin für Englisch und Deutsch mit ihrer 20-jährigen Tochter
aus Kowel im eigenen Auto nach Leipzig. Es war nicht mehr auszuhalten, im
Nordosten der Ukraine. Fünfmal am Tag Bombenalarm und Sirenen, der Flugplatz im
nahen Lutsk bombardiert, das Gymnasium ein Zufluchtsort für Geflüchtete. Ihren
Vater, ihren Mann und ihren erwachsenen Sohn musste sie in der Ukraine
zurücklassen – wie alle Frauen. In Leipzig ist sie mit einem Lehrerkollegen
befreundet. Im März hat er sie angerufen und gesagt: Komm her!
Dank einiger guter Tipps, Telefonate, Mails und Kontakte mit
dem Schulamt ist die 48-jährige Pädagogin heute schon voll engagiert und
integriert in Leipzig: Sie hat einen Honorarvertrag an der Universität für zwei
Seminare: Ukrainisch für Anfänger und Ukrainisch für ehrenamtlich helfende
Studierende, sechs Stunden pro Woche. Und sie unterrichtet an der freien
Rahn-Schule mehrere aus der Ukraine geflüchtete Kinder der 5. und 6. Klasse in
Deutsch und Englisch – zwölf Stunden in der Woche. Sie ist ausgestattet mit
einem Laptop der Schule und kann mit den beiden Einkommen die Wohnung bezahlen,
in die sie gerade gezogen ist. Ihre Tochter kann weiter Medizin studieren,
online an ihrer Universität in Dnipro.
Vorreiter für unbürokratische Aufnahme
Harbuz ist eine Frau, die sich rasch um ihre Dinge kümmert,
sie hatte sicher ein wenig Glück, vor allem aber hatte sie die richtigen
Papiere dabei: ihr Diplom mit Bestnoten, ihr B2-Deutschzertifikat vom
Goethe-Institut und ein amtliches Büchlein mit ihren Arbeitsnachweisen seit
1995. Nur eine offizielle Übersetzung der Dokumente muss sie nun noch
nachreichen. Und sie traf in Sachsen auf offene Ohren. Der Freistaat ist
bundesweit ein Vorreiter für die unbürokratische Aufnahme ukrainischer
Lehrkräfte. Das Land schließt einfache Arbeitsverträge nach bürgerlichem Recht
ab, ohne lange Überprüfungen und Hürden – und angelehnt an den Tarifvertrag.
Wenn Unterlagen wie Abschluss- und Führungszeugnisse,
Qualifizierungs- oder Impfnachweise fehlen, dürfen schriftliche
Glaubhaftmachungen vorgelegt und Unterlagen nachgereicht werden. Auch das
erforderliche Sprachniveau wurde von C1 auf B2 abgesenkt – die nötigen
Deutschkenntnisse dürfen im Nachhinein erworben werden. „Voraussetzungen für
diese sehr kurzfristige Einstellungspraxis“, betont Ministeriumssprecher Dirk
Reelfs, „waren die schnellen Einigungen mit dem Lehrerhauptpersonalrat.“
Bis Mitte Mai wurden auf diesem Weg in Sachsen bereits mehr
als 270 pädagogische Fachkräfte mit ukrainischen Sprachkenntnissen angestellt,
um den bis dahin rund 5.500 geflüchteten Kindern an den Schulen des Landes den
Einstieg so einfach wie möglich zu machen. Gesucht werden vor allem Lehrkräfte
für Deutsch als Zweitsprache und Schulassistenten für die Integration in den
Regelunterricht. Insgesamt sollen bis zu 400 Vollzeitstellen besetzt werden –
und zwar bis zum Ende des Schuljahres 2023. Eingestellt werden dabei auch
Lehrkräfte, die beurlaubt oder altersbedingt aus dem Schuldienst ausgeschieden
sind, Absolventinnen und Absolventen von Lehramtsstudiengängen sowie andere
Bewerberinnen und Bewerber mit pädagogischem Abschluss.
https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/ukrainisch-fuer-anfaenger
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