13.04.2022 / 8 Minuten zu lesen
In den vergangenen Jahren ist der Anteil von russischen
Gaslieferungen nach Deutschland stetig gestiegen. Angesichts des russischen
Angriffskriegs auf die Ukraine ist eine verstärkte Debatte um die Abhängigkeit
von Gasimporten entstanden.
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Gas als einer der
wichtigsten Energieträger in Deutschland
Energieversorgung in
Deutschland
Gasimporte bereits
aus der Sowjetunion
Keine amtlichen
Zahlen zu deutschen Gasimporten
Bau der
Nord-Stream-Pipelines
Gasexporte als
politisches Druckmittel
Debatte um
Gas-Embargo
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
(Grüne) hat am 30. März die Frühwarnstufe für den so genannten
"Notfallplan Gas" ausgerufen. Demnach treten nun erste
Vorsorgemaßnahmen in Kraft. Gasversorger und Betreiber der Leitungen werden
etwa verpflichtet, regelmäßig die Lage einzuschätzen. Vonseiten der Gashändler
und -lieferanten sowie Leitungsbetreibern sollen marktbasierte Maßnahmen wie
der Rückgriff auf Gasspeicher oder die flexible Beschaffung eingeleitet werden.
Noch greift der Staat aber nicht ein. Ein "Krisenteam Gas", das aus
Vertreterinnen und Vertretern des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Klimaschutz (BMWK) sowie der Bundesnetzagentur, des Marktgebietsverantwortlichen
Gas und der Fernleitungsnetzbetreiber besteht, tagt nun täglich. Unterstützt
wird es von Vertreterinnen und Vertretern der Bundesländer.
Grund für die Ausrufung der Frühwarnstufe ist
die Sorge vor einer Eskalation mit Russland, die die Versorgungssicherheit
gefährden könnte. Vorangegangen war die Ankündigung der russischen Regierung,
bei Gaslieferungen nur noch die Bezahlung in Rubel zu akzeptieren. Aus Sicht
des BMWK stellt dies ein Bruch der bestehenden Lieferverträge dar. Bereits am
28. März hatten die G7-Staaten erklärt, Gaslieferungen weiterhin in Euro oder
Dollar zu bezahlen. Russland besteht auf eine Zahlung in Rubel. Der russische Präsident
Putin erklärte, er habe ein entsprechendes Dekret unterzeichnet. Die
Bundesregierung stellte klar, dass Gaslieferungen nur in westlichen Währungen
bezahlt werden, prüft nun aber, ob der von Russland angebotene Weg auch den
geltenden Richtlinien entspricht.
Gas als einer der wichtigsten Energieträger in Deutschland
Erdgas zählt neben Mineralöl zu den wichtigsten
Energieträgern für den deutschen Primärenergieverbrauch und wird hierzulande
vor allem für die Wärmeversorgung genutzt. Parallel zu den befürchteten
Importengpässen steigen auch die Verbraucherpreise für Gas, denn importiertes
Erdgas war im Februar 2022 dreieinhalb Mal so teuer wie ein Jahr zuvor. Ein
Grund dafür war das einsetzende Wirtschaftswachstum in vielen Regionen der Welt
nach den pandemiebedingten Einbrüchen in den Jahren 2020 und 2021 und der
folgenden raschen Erholung der Wirtschaft. Zusätzlich verschärfte der geringe
Füllstand der deutschen Gasspeicher die Lage – Anfang April lag er bei rund 27
Prozent. Der Krieg in der Ukraine hat die Preise noch einmal ansteigen lassen.
Energieversorgung in Deutschland
Die deutsche Bruttoenergieerzeugung betrug im Externer
Link:Jahr 2021 insgesamt 579 Milliarden Kilowattstunden. In Deutschland werden
laut Umweltbundesamt (UBA) etwa 29 Prozent des Primärenergieverbrauchs
inländisch gewonnen. Primärenergie bezeichnet die Energie, die direkt in
Energieträgern vorhanden ist und noch nicht – etwa in Strom – umgewandelt
wurde. Hierzulande entfielen von der Bruttoenergieerzeugung 59 Prozent auf
konventionelle Energieträger und 41 Prozent auf erneuerbare Energien.
Gasimporte bereits aus der Sowjetunion
Die BRD importierte bereits während des Kalten Krieges
Erdgas aus der Sowjetunion. Trotz des Widerstandes der US-Regierung unter
Ronald Reagan, unterzeichnete die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut
Schmidt (SPD) 1980 ein Abkommen über eine langfristige wirtschaftliche
deutsch-sowjetische Zusammenarbeit. Kurze Zeit später begannen Verhandlungen
über ein erstes Pipelineprojekt. Obwohl Reagan sich unter Androhung eines
US-Embargos auf Technologielieferungen entschieden gegen die Pipeline stellte,
gab es nach langen Verhandlungen schließlich eine Einigung. Die
westeuropäischen Regierungen hatten Kompromissbereitschaft gezeigt, indem sie
beispielsweise die Reduktion der Rohrleistung und eine restriktivere
Kreditpolitik gegenüber der Sowjetunion zusagten. Ende der 1980er-Jahre deckten
sowjetische Importe bereits etwa die Interner Link:Hälfte des Gasbedarfs der
BRD.
Keine amtlichen Zahlen zu deutschen Gasimporten
Interner Link:Zwar gab es über die Jahre Schwankungen, in
den vergangenen zehn Jahren ist die Abhängigkeit von russischem Gas jedoch
stetig gestiegen. Russland profitierte nicht zuletzt von dem Anstieg des
deutschen Erdgasbedarfs. Die Datenlage ist bei Erdgas-Importe allerdings
weniger transparent als beispielsweise bei Erdöl, für das ein Gesetz die Meldung
der Im- und Exporte vorsieht. Zwar erheben das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle (BAFA) und die Bundesnetzagentur Daten zu Erdgaslieferungen,
diese würden laut einer Recherche des Bayerischen Rundfunks aber teilweise auf
freiwilligen Angaben der Gasunternehmen basieren.
Im Jahr 2007 lag der Anteil der russischen Gasimporte laut
dem Mineralölkonzern BP bei 43 Prozent. Bis 2015 kletterte der Anteil auf 45
Prozent und liegt heute bei über der Hälfte des deutschen Bedarfs. Gleichzeitig
ist die Gesamtimportmenge an Erdgas stetig gewachsen, von etwa 84 Milliarden
Kubikmeter im Jahr 2007 auf 102 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2020. Deutschland
selbst verfügt nur über minimale Gasreserven, lediglich fünf Prozent des
deutschen Verbrauchs wird durch einheimische Produktion gedeckt. Damit ist die
Bundesrepublik abhängig von Importen. Russische Lieferungen deckten 2020 etwa
55 Prozent des deutschen Gasimports. Mit weitem Abstand dahinter folgen
Norwegen und die Niederlande als Energielieferanten.
Bau der Nord-Stream-Pipelines
Die Bundesregierung hat über Jahre bewusst auf Russland als
einen der Hauptenergielieferanten für Deutschland gesetzt. Im Jahr 2005
unterzeichnete die Regierung aus SPD und den Grünen unter dem damaligen
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine Absichtserklärung für den Bau der
Erdgaspipeline Nord Stream 1. Die Trasse sollte durch die Ostsee führen und
direkt russisches Gas nach Deutschland leiten. Im Jahr 2011 wurde Nord Stream 1
in Betrieb genommen. Die Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) vereinbarte 2015, ein Jahr nach der völkerrechtswidrigen Annexion der
Krim, den Bau einer weiteren Pipeline auf der Ostsee-Trasse: Nord Stream 2. Im
gleichen Jahr kaufte der staatliche russische Energiekonzern Gazprom rund ein
Viertel der deutschen Erdgasspeicher von dem Chemiekonzern BASF. Dazu gehörte
auch der größte deutsche Erdgasspeicher im niedersächsischen Rehden, der eine
zentrale Bedeutung für die Krisenvorsorge hat. Da der Kauf über eine deutsche
Tochterfirma erfolgte, Externer Link:erklärte das damals von der SPD geführte
Bundeswirtschaftsministerium, dass es für die Übernahme keinen Prüfungsbedarf
gegeben habe.
Gasexporte als politisches Druckmittel
International wurde besonders der Bau der
Nord-Stream-Pipelines kritisiert. Bis dato wurden russische Gasexporte über
Pipelines abgewickelt, die durch das Territorium anderer osteuropäischer Länder
führten wie zum Beispiel Polen oder die Ukraine. Abgeordnete in diesen Ländern
sahen in den Nord-Stream-Projekten deswegen auch ein geopolitisches Druckmittel
gegen ihre eigenen Länder.
Viele Staaten, die selbst nur im geringen Maße Erdgas
fördern können, sind besonders stark auf russisches Erdgas angewiesen. Dazu
zählen etwa Finnland, die baltischen Länder, Ungarn, die Slowakei, Tschechien
und Österreich. Im Schnitt bestreiten die EU-Staaten knapp 40 Prozent ihres
Erdgasverbrauchs durch Importe aus Russland. Allerdings macht Erdgas in Ländern
wie Finnland nur fünf Prozent des Primärenergieverbrauchs aus. In Deutschland
liegt dieser Wert bei 27 Prozent, was die Abhängigkeit erhöht.
Der Kreml hat Erdgasexporte bereits häufiger als politisches
Druckmittel gegen andere Länder eingesetzt. Die bislang schwerste Krise
entstand infolge der Orangenen Revolution in der Ukraine und der Hinwendung des
Landes zum Westen. Uneinigkeiten bei einem Anschlussvertrag zwischen der
Ukraine und Russland führten zur Einstellung der Gaslieferungen an die Ukraine
im Januar 2009. Da die Ukraine ein wichtiges Transitland für Gaslieferungen
ist, kam es vor allem in südosteuropäischen Staaten Bulgarien, Moldau und
Serbien zu erheblichen Engpässen. Unter Vermittlung der Bundesregierung und der
EU konnte der Gasstreit Ende Januar beigelegt werden – vor dem Hintergrund der
Drucksituation sehen Expertinnen und Experten darin einen unvorteilhaften
Gasvertrag für die Ukraine.
Debatte um Gas-Embargo
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am
24. Februar 2022 hat sich eine Debatte um ein Embargo gegen Gasimporte aus
Russland entwickelt. Befürworterinnen und Befürworter eines Embargos sagen,
dass Russland durch die Einnahmen aus den Rohstoffexporten den Krieg
mitfinanziere. Die Bundesregierung lehnt ein schnelles Embargo bisher ab, unter
anderem auch deswegen, weil dadurch der Energiebedarf für die deutsche
Industrie gefährdet sei. Dies könnte letztlich auch zu einem
"Wohlstandsverlust" führen, wie Finanzminister Christian Lindner
(FDP) sagte. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädiert dafür,
die Bundesrepublik schrittweise unabhängig von russischem Gas zu machen.
Parallel arbeitet die Bundesregierung daran, die
Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Bereits jetzt sei der Anteil der
Importe aus Russland laut Bundeswirtschaftsministerium auf 40 Prozent gesunken.
Wirtschaftsminister Habeck sagte Ende März, dass ein vollständiger Ausstieg aus
russischem Erdgas bis Sommer 2024 gelingen könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) hatte Ende Februar angekündigt, Flüssiggasterminals (Liquefied Natural
Gas-Terminals) bauen lassen zu wollen. Diese sogenannten LNG-Terminals sollen
eine Gasversorgung abseits des bestehenden, mit gasförmigen Erdgas belieferten
russischen Pipelinenetzes möglich machen, indem flüssiges Erdgas aus anderen
Staaten nach Deutschland importiert werden kann. Für den Export soll flüssiges
Gas, das für die Verflüssigung auf minus 162 Grad Celsius heruntergekühlt
werden muss, mit Schiffen in deutsche Häfen gebracht werden. An den mobilen
LNG-Terminals können sie entladen und weiterverteilt werden. Bislang ist
Deutschland auf die LNG-Terminals der Nachbarstaaten wie den Niederlanden,
Frankreich oder Belgien angewiesen. Die Verflüssigung des Erdgases ist
energieintensiver als das Pipeline-Gas, da Emissionen bei Verflüssigung,
Transport und Regasifizierung anfallen.
Wirtschaftsminister Habeck hat indes eine langfristige
"Energiepartnerschaft" mit Katar angekündigt. Das Land ist einer der
größten Flüssiggasexporteure der Welt, steht aber gleichzeitig wegen der
dortigen Menschenrechtslage in der Kritik. Zuvor war bereits das
Genehmigungsverfahren für die Pipeline Nord Stream 2 gestoppt worden.
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