Mehr als 4,6 Millionen Menschen sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen. Als Folge der Invasion fliehen auch immer mehr Menschen aus Russland. Die Gründe dafür dürften in der eingeschränkten Meinungsfreiheit, Angst vor politischer Verfolgung oder vor Einzug zum Militärdienst sowie in der schlechten ökonomischen Perspektive liegen. Der Unterschied zwischen den derzeitigen russischen Migranten/-innen, die in die Nachbarländer auswandern, und den Geflüchteten aus der Ukraine besteht darin, dass die russische Auswanderungsgruppe überdurchschnittlich gut gebildet ist. Diese umfasst beispielsweise Spezialkräfte aus der IT-Branche und anderen kreativen Wirtschaftszweigen, die meist über Fremdsprachkenntnisse verfügen.
ZEW-Migrationsexpertin Dr. Katrin Sommerfeld erklärt dazu:
„Aufgrund der starken wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und
Russland in der Vergangenheit und der ausgeprägten russischen Diaspora in
Deutschland, z. B. durch Spätaussiedler/innen, könnte Deutschland für Russinnen
und Russen mittel- bis langfristig als Zielland an Bedeutung gewinnen. Unsere
Empfehlung an die Politik ist daher, eine entsprechende Strategie für den
Umgang mit Zuwanderern aus Russland zu entwickeln. Politische Erwägungen und
Fairness legen nahe, dass Menschen, die politische Verfolgung befürchten, in
Deutschland aufgenommen werden sollen. Zur Ausgestaltung kluger Maßnahmen ist
es wichtig, strategische Argumente zu
berücksichtigen, Einwanderungspolitiken spezifisch an die russischen
Besonderheiten anzupassen und entsprechende Kapazitäten für den künftigen
Umgang mit russischen Zuwanderern vorzuhalten.“
Sofern in naher Zukunft verstärkt Menschen aus Russland nach
Deutschland migrieren, ist zu vermuten, dass sie grob den existieren ethnischen
Netzwerken folgen. Russische Staatsangehörige sind derzeit vor allem in
Großstädten wie Berlin, Hamburg und München angesiedelt, wobei der höchste
Bevölkerungsanteil in Baden-Baden (1,7 Prozent) zu verzeichnen ist. Die Zahl
der Spätaussiedler/innen ist dagegen größer und etwas gleichmäßiger über ganz
Deutschland verteilt (wenn auch konzentriert in Nordrhein-Westfalen und
Baden-Württemberg), wie eine aktuelle ZEW-Kurzexpertise zeigt.
Deutschland hat aufgrund der aktuellen Flug- und anderen
Reisebeschränkungen noch keine unmittelbare russische Migrationswelle erlebt,
aber Beispiele aus Ländern, die geografisch und kulturell näher an Russland
liegen, sind aufschlussreich für das, was mittelfristig zu erwarten ist. Obwohl
bisher keine offiziellen Schätzungen vorliegen, gibt es Hinweise darauf, dass
die Zahl russischer Zuwanderer in ehemalige Sowjetrepubliken im Kaukasus und
Zentralasien sowie die Türkei derzeit rasant ansteigen. Armenien zum Beispiel
hat allein in den ersten drei Kriegswochen schätzungsweise bis zu 75.000
Menschen aus Russland aufgenommen, was 2,5 Prozent seiner Bevölkerung
entspricht. Die Zahl der täglichen Flugverbindungen zwischen der Hauptstadt
Jerewan und verschiedenen Zielen in Russland sollen sich im Vergleich zur
Vorkriegszeit vervierfacht haben, während angesichts des Nachfrageschocks die
lokalen Preise für Mietwohnungen und Büroräume in die Höhe schießen.
https://www.zew.de/presse/pressearchiv/migrationsschub-aus-russland-zu-erwarten
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