Am 1. Juli beginnt die sechsmonatige tschechische EU-Ratspräsidentschaft. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen fordern die EU heraus, aber auch Themen wie Klimapolitik drängen.
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Triopräsidentschaft
mit Frankreich und Schweden
Motto: "Europa
als Aufgabe"
Krieg in der Ukraine
bestimmt die Agenda
Tschechische Regierung
innenpolitisch unter Druck
Mehr zum Thema
Tschechien übernimmt am 1. Juli turnusgemäß für sechs Monate
den Vorsitz im Rat der Europäischen Union. Bislang hatte das Land, das seit 18
Jahren EU-Mitglied ist, diese Funktion erst einmal im Jahr 2009 inne. Das auch
Ministerrat genannte Gremium, das in den unterschiedlichen Besetzungen der
jeweiligen Fachminister der Mitgliedstaaten tagt, ist eines der wichtigsten
Organe der EU und maßgeblich an der Gesetzgebung der EU beteiligt. Der Beginn
der tschechischen Ratspräsidentschaft fällt in unruhige Zeiten, sowohl
innenpolitisch also auch EU außen-, sicherheits-, umwelt- und sozialpolitisch.
Triopräsidentschaft mit Frankreich und Schweden
Um zu gewährleisten, dass auch längerfristige Projekte
umgesetzt werden können, hat die EU im Jahr 2007 die sogenannte Interner
Link:Triopräsidentschaft eingeführt. Dies bedeutet, dass diejenigen drei
Staaten, die die Präsidentschaft nacheinander ausüben, ihre Programme
aufeinander abstimmen und gemeinsam Prioritäten festlegen. Für die Zeit vom 1.
Januar 2022 bis zum 30. Juni 2023 arbeiten Frankreich, die Tschechische
Republik und Schweden zusammen.
Die drei Staaten haben im Dezember 2021 ihr Programm für
diese Zeit vorgestellt. Ein Ziel: Die Überwindung der wirtschaftlichen und
sozialen Folgen der Corona-Krise. Dafür soll unter anderem der bestehende
EU-Aufbauplan vorangetrieben werden. Dieser sieht massive Investitionen in
"den grünen und den digitalen Wandel" und eine Stärkung des
Binnenmarkts vor, um dem Ziel der Klimaneutralität näher zu kommen.
Die Klimakrise ist eine der zentralen Herausforderungen der
tschechischen Ratspräsidentschaft. Im Rahmen des sogenannten Fit-für-55-Pakets
Externer Link:hat die Europäische Kommission Vorschläge vorgelegt, wie die
Klimaziele des europäischen Green Deals erreicht werden sollen, ohne die
europäische Wirtschaftskraft zu gefährden. Um bis 2050 klimaneutral zu werden,
will Interner Link:die EU als Zwischenschritt bis 2030 ihre
Treibhausgasemissionen um 55 Prozent reduzieren. Bei der konkreten
Ausgestaltung, wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei, kommt es jedoch
immer wieder zu Streit.
Interner Link:Frankreich setzte in seiner halbjährigen
Ratspräsidentschaft (1. Januar bis 30. Juni 2022) mehrfach klimapolitische
Themen auf die Brüsseler Tagesordnung und konnte in mehreren Bereichen
Einigungen erreichen. So fand der EU-Ministerrat unter Pariser Ägide eine
kompromissfähige Lösung für den sogenannten EU-Grenzausgleichsmechanismus.
Dabei handelt es sich um eine Art Importzoll auf CO2-Emissionen für außerhalb
der Europäischen Union hergestellte Waren. Dieser soll Nicht-EU-Länder dazu
veranlassen, eine ehrgeizigere Klimapolitik zu betreiben statt durch weniger
strenge Umweltstandards der eigenen Wirtschaft vermeintliche Vorteile zu
verschaffen.
Im März dieses Jahres beschloss der Ministerrat zudem den
Aufbau einer europäischen Batteriefertigung für den Bereich E-Mobilität. Für
andere Punkte des "Fit für 55"-Programms muss nun die tschechische
Ratspräsidentschaft versuchen, tragfähige Kompromisse zu finden – so etwa mit
Blick auf das Ziel, ab 2035 nur noch klimaneutrale Kraftfahrzeuge neu in der EU
zuzulassen. Hier muss der Wunsch des EU-Parlaments nach einem Verbot für
Verbrennermotore mit der Position der Umweltminister, die Ausnahmen für
synthetische Kraftstoffe prüfen möchten, in Einklang gebracht werden.
Motto: "Europa als Aufgabe"
Die seit Dezember 2021 amtierende tschechische Regierung
gilt als EU-freundlich. Mitte Juni verkündete Ministerpräsident Petr Fiala das
Motto der Ratspräsidentschaft seines Landes: "Europa als Aufgabe" –
so hatte der frühere tschechoslowakische und tschechische Staatspräsident
Václav Havel eine Rede überschrieben, die er 1996 in Aachen hielt. Geplant sind
unter anderem 14 informelle Ministertreffen und ein Gipfeltreffen unter der
Ägide Prags.
Krieg in der Ukraine bestimmt die Agenda
Der Interner Link:russische Angriff auf die Ukraine bestimmt
auch die Agenda der tschechischen Ratspräsidentschaft. Fiala sieht die
Bewältigung des hohen Flüchtlingszustroms aus der Ukraine und die Planung des
späteren Wiederaufbaus des Landes als zwei der zentralen Themen. Ein weiteres
Thema ist die Energieversorgung. Das Öl-Embargo gegen Russland und die von
Russland deutlich reduzierten Erdgaslieferungen Externer Link:sind überall in
der EU spürbar. Der Ölpreis ist massiv gestiegen, noch stärker der Preis für
Erdgas. Die EU-Kommission hat bereits im Frühjahr konkrete Vorschläge zur
Reduzierung der Energieabhängigkeit von Moskau um zwei Drittel bis Ende des
Jahres vorgestellt. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien wollen die
EU-Staaten auch den Import an Flüssiggas erhöhen.
Zuletzt wurde unter französischer Ratspräsidentschaft
darüber diskutiert, wie die Energiepreise stabilisiert werden können. Auch die
in vielen anderen Bereichen Externer Link:stark gestiegene Inflation und
mögliche Strategien zu deren Bekämpfung werden auf EU-Ebene weiterhin auf der
Tagesordnung stehen.
Wichtiges Thema dürfte zudem der künftige Umgang mit
Russland und der Ukraine sein. Gegen Moskau hat die EU unter französischer
Ägide mehrere Sanktionspakte verhängt, die Interner Link:Ukraine erhielt im
Juni offiziell den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Paris war zuletzt immer
wieder damit beschäftigt, trotz teils divergierender Interessen der EU-Staaten,
eine einheitliche Russland-Politik zu organisieren.
Weitere Themen der Ratspräsidentschaft Tschechiens sollen
den Plänen aus Prag zufolge die Stärkung der Externer
Link:Verteidigungsfähigkeit der EU-Staaten und der europäischen
Rüstungsindustrie sowie die Cybersicherheit sein. Auch die Beitrittsperspektive
diverser Staaten Ost- und Südosteuropas werden weiterhin auf der Agenda stehen.
Ein weiteres wichtiges Ziel der tschechischen
Ratspräsidentschaft ist die Stärkung demokratischer Institutionen. Seit Jahren
gibt es in einzelnen Mitgliedsstaaten wie Polen und Externer Link:Ungarn teils
massive Probleme bei der Unabhängigkeit von Justiz und Medien. Die
Digitalisierung wird ebenfalls eine Rolle spielen. Nicht ausgeschlossen ist
auch, dass eine erneute Corona-Welle weitere Hilfen aus Brüssel oder ein
koordiniertes Handeln der EU-Staaten bei ihrer Bekämpfung erforderlich macht.
Tschechische Regierung innenpolitisch unter Druck
Innenpolitisch fällt der Beginn der tschechischen
Ratspräsidentschaft in unruhige Zeiten. Die Koalition von Premierminister Petr
Fiala, die fünf Parteien von links-liberal bis bürgerlich-konservativ vereint,
Externer Link:ist erst seit Dezember 2021 im Amt und bereits jetzt aufgrund
einer Korruptionsaffäre unter Druck. Mehrere von der Staatsanwaltschaft
Beschuldigte sollen die Auftragsvergabe der Prager Verkehrsbetriebe beeinflusst
und Schmiergelder gefordert haben. Ein konservativer Minister trat zuletzt zurück.
Mehr zum Thema
Interner Link: Nicolai von Ondarza / Minna Ålander: Der Rat
der Europäischen Union – Zusammensetzung und Aufgaben (izpb)
Interner Link:Ministerrat (Lexikon der Wirtschaft)
Interner Link:Ministerrat (Das Europalexikon)
Interner Link:Tschechische Republik (CZE)
Fussnoten